01.03.09

Magdi Aboul-Kheir

Schinkenminken, platschdiplumps

Es ging um die Wurst. Beziehungsweise ums Fleisch. Ich war noch ein Kind, saß in einer Lufthansa-Maschine nach Kairo und bekam eine erste Kostprobe des heiklen Themas »Islam und Schweinefleisch« geboten. Eine Ägypterin, eine etwa 60-jährige Muslima, bekam einen Tobsuchtsanfall. Auch wenn mein Arabisch miserabel war, verstand ich doch, dass es sich um einen Tobsuchtsanfall handelte. Die Frau behauptete, man würde ihr Schweinefleisch vorsetzen - das im Islam als unrein gilt ist und nicht verzehrt werden darf. Es handelte sich jedoch um Putenbrust in Rahmsoße, nicht um Schwein, wie die Stewardess dem Gast unter anderem mittels eines Piktogramms, das ein durchgestrichenes Schwein darstellen sollte, versicherte - aber das wollte die Dame nicht glauben.

Das Lufthansa-Putenfleisch schmeckte übrigens schweinisch grausig, da wäre mir süddeutsch sozialisiertem Knaben ein echtes Schweineschnitzel zehnmal lieber gewesen. Aber für die religiöse Haltung der Passagierin hatte ich Verständnis. Ihr elementares Misstrauen und ihren hysterischen Auftritt fand ich jedoch übertrieben.

Verständnis hatte ich auch nicht, als dann deutsche Touristen in orientalischen Hotels ausgerechnet Wurstaufschnitt zum Frühstück essen wollten. Die Wurst in diesen Ländern ist praktisch ungenießbar, aber offenbar entwickeln Europäer am arabischen Frühstücksbüffet derartige Heimatgefühle, dass sie irgendwo am Roten Meer bei 40 Grad grobe Leber-, rohe Mett- oder deftige Jagdwurst verzehren wollen. Montezuma ist zwar keine ägyptische Gottheit, aber er hat dort nahe Verwandte, die ihn ausreichend rächen.

Alles zu seiner Zeit, und alles an seinem Ort. Ich schätze gute Wurst durchaus, aber dort, wo sie hingehört: auf herrlichem deutschem Schwarzbrot, auf knusprigen Frühstückssemmeln. Freilich liebe ich auch leckeres würziges Pide, und wenn ich im »Völker Bazar« ein solches türkisches Fladenbrot erstehe, grinse ich den Verkäufer an: Wenn du wüsstest, mein guter Süleyman. Zuhause belege ich das Pide nämlich gern mit Leberkäse oder Salami oder bestreiche es gar mit Griebenschmalz und komme mir reichlich subversiv vor.

Natürlich ist die Welt viel subversiver als ich es mit meinen kindischen Freuden jemals sein könnte. Denn: Moral und Religion sind stark, Gewinnsucht ist allemal stärker. Als vor Jahren die Lebensmittelkontrolleure sich der türkischen Schnellimbisse in Deutschland annahmen, fanden sie Gammelfleisch im Döner. Türkische Medien witterten alsbald eine Attacke der westlichen Fastfood-Industrie und eine Schmutzkampagne. Freilich stand dann ein türkischer Döner-König vor Gericht und wurde mit dem Unterschied zwischen Gammel und Hammel konfrontiert. Allerdings hatten die Kontrolleure in den Drehspießen etwas aus muslimischer Sicht noch viel Heikleres als Salmonellen gefunden: Anteile von Schweinefleisch. Und zwar in jedem dritten Döner. Kapitalistische Sauerei!

Dabei haben heute viele Deutsche diese sensible Stelle ihrer Mitbürger mit Migrationshintergrund verinnerlicht. Als kürzlich im Kindergarten für einen Ausleih-Zirkel Kinderbücher angeschafft wurden, achteten die Erzieherinnen darauf, dass keine Bilder- und Vorlesebücher mit kleinen Schweinen als Figuren ausgewählt wurde. Als ich in meiner Eigenschaft als Elternbeirat die Grenze zwischen hilfreicher Toleranz und hirnrissiger Anbiederung diskutieren wollte, erntete ich irritierte Blicke: Gerade ich müsste das doch besser wissen!

»Ein Schwein rettet die Welt«? Meinetwegen die Welt, aber nicht unseren Kindergarten. »Auch ein Schwein darf mal traurig sein«? Hör auf zu heulen, du blödes Ferkel! Ja, selbst Erich Kästner (»Das Schwein beim Friseur«) kommt in den Giftschrank. Und was ist mit dem modernen Klassiker »Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat«? Der Titelheld trifft nämlich auch ein Schwein. Und das macht, »platschdiplumps«, einen »weichen, braunen Haufen«. Na also, unrein.

Da hatte ich dann gleich noch ein paar weitergehende Fragen fürs Kinderhaus-Personal: Weshalb lief die „Muppet Show“ samt Miss Piggy einst im türkischen Staatsfernsehen? Weshalb hat die DVD »Schweinchen Wilbur und seine Freunde« auch türkische Untertitel? Und warum schenken deutsche Banken am Weltspartag türkischen Erstklässlern Sparschweine?

Im Ernst: Soll doch jeder nach seiner Facon glücklich werden. So wie mein Cousin K., der uns in meiner Kindheit häufiger in Deutschland besuchte. Ein anderes Wort für Cousin ist Vetter, und das war zutreffender, denn K. war ein rechter arabischer Kawenzmann. 140 Kilo brachte er leicht, also nicht leicht auf die Waage. Setzte man K. eine große Pizza vor, sagte er: »Lecker. Aber gibt's kein Hähnchen dazu?«.
Was es natürlich niemals dazu gab, war Schweinefleisch. Wir selbst aßen aber, selbst wenn ägyptischer Besuch im Haus war, durchaus Wurst. Wir schauten übrigens auch weiterhin »Schweinchen Dick«.

Aber es war der Schinken, der K. schöne Augen machte. Saftiger Hinterschinken, dem er nicht widerstehen konnte. Mein Vater machte K. darauf aufmerksam, dass es sich um Schwein handelte, aber unser Besuch wollte »nur mal kosten«. Er kostete dann jeden Tag. Morgens und abends stopfte er Schinkenbrote in sich hinein. Er betete fünfmal am Tag und aß sechs Scheiben Schinken. Oder auch sechzehn. Er grinste und sagte verfressen, ja lüstern: »Schinkenminken«.

Der Tag seiner Abreise kam, wir fuhren K. zum Flughafen München. Seine Maschine hatte Verspätung, meine Mutter und ich gingen mit meinem Cousin ins Airport-Restaurant und fragten ihn, auf was er besonders Appetit hätte. »Schinkenminken«, rief K. ohne zu zögern und orderte eine extra große Schinkenplatte. Dann flog er nach Kairo. Ich glaube nicht, dass er an Bord einen Tobsuchtsanfall bekam.