01.12.01

Magdi Aboul-Kheir

Die Gummikarriere des Herrn Nakajima

Zwei Männer, ein Monster. Skurriler Schwarz-Weiß-Schnappschuss in einem obskuren US-Filmmagazin. Ein freundlich dreinschauender Japaner, Brille, hohe Stirn, jenseits der 70, sein Lächeln zeichnet starke Falten in die Backen. Daneben ein korpulenter Mann in Hosenträgern, bestimmt Amerikaner, auch nicht mehr der Jüngste; er hat seine fleischige Pranke besitzergreifend um den Japaner gelegt. Im Hintergrund, unscharf, schwer auszumachende Filmplakate, wohl japanische. Vorn links thront eine plumpe Godzilla-Nachbildung auf einem Pult.

Zwei Männer, ein Monster. Ein skurriles Triumvirat. Offenbar auf einer Fantasy-Fan-Convention aufgenommen. Eines dieser pathologischen Zusammentreffen lebenslänglich präpubertärer Cineasten mit ihren Idolen. Wer ist der Japaner? Warum ist der Amerikaner so versessen darauf, mit ihm geknipst zu werden? Was hat Godzilla, das legendäre Vierklauenvieh, Urahn aller japanischer Filmungetüme, damit zu tun? Und warum sollte das jemanden interessieren?

Zuerst die Antwort auf die letzte Frage: Keine Ahnung. Muss etwas damit zu tun haben, dass es auch vernunftbegabten Menschen zuweilen schwer fällt, beim samstagsnachmittäglichen Zappen nicht an Trashmeisterwerken der Güteklasse »Frankensteins Monster jagen Godzillas Sohn« hängenzubleiben. Filme, die tierschürfende Fragen aufwerfen: Was mag den Machern dieser Machwerke nur durch den Kopf gegangen sein, als sie die bescheuert aussehenden Gummiviecher durch Miniaturstädte tapern und trampeln ließen? Wer, bitteschön, fand und findet denn die immergleiche Dramaturgie, die immergleichen kruden Geschichten und die immer bescheuerteren Fabeltiere auch nur ansatzweise unterhaltsam? Und: Wieso ist es so schwer umzuschalten?

Laut Bildunterschrift heißt der Japaner Nakajima. Der feiste Ami bleibt namenlos, egal. Aber Nakajima? Fehlanzeige im Munzinger-Archiv, gängige Filmlexika versagen ebenfalls. Die Internet Movie Database kennt einen »Haruo Nakajima«. Jahrgang 1929, Schauspieler, Stuntman. Seine Filmografie enthält Titel wie »Gojira«, »Gojira-Minira-Gabara: Oru kaijû daishingeki«, »Furankenshutain no kaijû: Sanda tai Gaira«.

Unser Mann! Und noch besser: Nakajima ist kein nichtiger Nebendarsteller, er ist Godzilla persönlich. War es zumindest. 13 Mal hat er den Lindwurm gegeben. Oder häufiger, da streiten sich die Godzilla-Gelehrten. Wer im Bauch des Monstrums steckte, war ja nicht auszumachen. Der Mann im Riesenlurch. Womit wir wohl gleich beim Hauptproblem des Herrn Nakajima angelangt wären: Seine Karriere in Gummi. Filmgeschichte geschrieben hat er, ein Markenzeichen verkörpert, wahrhaft Leinwandpräsenz bewiesen, in zahlreichen Kassenknüllern hat er mitgewirkt – und kaum jemand kennt sein Gesicht oder wenigstens seinen Namen. Haruo Nakajima. Ihm wollen wir hier huldigen – dem Helden, zumindest Filmhelden, im Verborgenen.

1954 Nakajima war Mitte 20, kam frisch und voller Ambitionen von der Schauspielschule, wollte in den populären Samurai-Filmen mitspielen. Umso überraschter war er wohl, als ihm die Produktionsgesellschaft Toho den Part einer radioaktiv vergrößerten Riesenechse anbot. Das tat sie vor allem deshalb, weil Karate-Schwarzgurt Nakajima enorm kräftig war und so aussah, als ob er in der Lage wäre, das unförmige, zweiteilige Kostüm (das je nach Quelle zwischen 100 und 220 Pfund wog) durch die Gegend zu schleppen, ohne andauernd drehbuchunkonform in der Dekoration zusammenzubrechen. Bei seinem allerersten Einsatz kam Nakajima samt Godzilla rund zehn Meter weit. Das war nicht eben wenig: Kollegen schafften es in dem Kostüm gerade mal drei Meter und kollabierten dann. Wenigstens, das merkte Nakajima schnell, war er kaum zu ersetzen. War er krank, war auch Godzilla indisponiert. Kein Nakajima, kein Monster.

Die Dreharbeiten waren kräftezehrend, belastend. Nicht nur das Gewicht des Gummianzugs setzte Nakajima zu, auch die Hitze unter den brennenden Scheinwerfern des Studios. Klimaanlagen gab es nicht, und die Frischluftzufuhr in der Echsenhülle ließ zu wünschen übrig: Der Monsteranzug hatte lediglich ein paar kleine Löcher, und hinten hingen auch noch drei Kabel für die Steuerung von Augen und Mund daran. Mehr als drei bis vier Minuten pro Szene hielt Nakajima nicht durch. Einmal fing Godzillas Kopf Feuer, doch der Akteur spielte die Szene zu Ende. Vielleicht hatte er im Inneren des Ungetüms gar nicht mitbekommen, wie er schwelte und schmolz – und der skrupellose Regisseur hatte die Kameras weiterlaufen lassen. Ein anderes Mal wurde Godzilla unter einer Eislawine begraben, und dabei brach gleich der Studioboden mit ein.

Schnell war klar: Auf der Schauspielschule war Nakajima nichts Verwertbares beigebracht worden. Nichts, was ihn adäquat darauf vorbereitet hätte, überzeugend ein hochhaushohes, feuerspeiendes Urzeit-Ungetüm zu spielen. Method-Acting war zu dieser Zeit in Japan noch unbekannt. Nakajima beobachtete zwar Bären und große Reptilien, aber das half ihm kaum. Robert De Niro hätte wahrscheinlich erst mal vier Monate in einem Terrarium zugebracht, dann Feuerspucken gelernt und sich schließlich eine Repitilhaut tätowieren lassen. Doch es ist ohnehin fraglich, ob das alles Nakajima wirklich weitergebracht hätte. Denn mimisch wurde ihm ehrlich gesagt ungleich weniger abverlangt als physisch. Der Charakter Godzillas war eher eindimensional angelegt: Er tauchte recht unvermittelt auf, machte allerhand kaputt, meist halb Japan, balgte sich mit anderen Monstern und gab schließlich wieder den Löffel ab. Film für Film für Film.

Es ist nicht überliefert, ob Nakajima auf die Drehbuchautoren Einfluss zu nehmen versuchte, um die Figur Godzilla abwechslungsreicher zu gestalten. Eine Liebesgeschichte mit einem anderen Drachen vielleicht? Oder nur die Genugtuung, ab und zu einen Film zu überleben? Zwar war der obligatorische Leinwandtod am Ende der Godzilla-Streifen nicht wirklich schlimm (pünktlich zur nächsten Auflage stapfte er ja wieder munter aus dem Meeresschaum), doch immer alle gemacht zu werden, jahrein, jahraus, das konnte auch dem stärksten und stoischsten Japaner ans Gemüt gehen. Wenigstens gaben sich die Drehbuchautoren in puncto Todesarten Mühe: Godzilla durfte ersticken, ertrinken, unter Eis begraben und von Raupen eingesponnen werden. Außerdem wurde das Ausdrucksvermögen der Kreatur erweitert: Godzilla lernte freudig umherzuhüpfen – und sich an der Nase zu kratzen.

Der Fließbandrhythmus von Toho Productions sorgte sicherlich dafür, dass Nakajima beruflich zu wenig anderem kam, als den tierischen Haudrauf zu geben. Fraglich ist, ob er bei seiner Filmografie überhaupt andere Rollen bekommen hätte. Das muss man sich so vorstellen: Nakajima will für einen interessanten Part vorsprechen, der Produzent denkt sich: vollkommen unbekanntes Gesicht, und fragt: Wo haben Sie denn schon mitgespielt?; darauf Nakajima: »Godzilla«, »Godzilla kehrt zurück«, »Godzilla und die Urweltraupen« ... Den Ausgang des Gesprächs kann sich jeder denken. Tatsache ist, dass Nakajima in monsterlosen Filmen bestenfalls Kleinstauftritte hatte. Tatsache ist ebenfalls, dass Nakajima 18 Jahre lang den Gummiriesen gab.

Wobei zu guter Letzt nicht verschwiegen werden sollte, dass er im Lauf der Zeit doch noch andere Rollen bekam: Nakajima spielte unter anderem den schrecklichen Gigantis, das Flugmonster Rodan und den japanischen King Kong. Außerdem war er Vordermann im Fluggetier Mothra. Und er verkörperte, sehr bezeichnend und irgendwie traurig, den Unsichtbaren. Wenigstens musste er dafür nicht hinter Gummi.