03.02.09

Magdi Aboul-Kheir

Big Brother is watching me:
Der 100-Kilo-Moron mit dem Epiliergerät

Ich gehe spätnachts durch ein übel beleumundetes Stadtviertel, wanke auf einer schlecht beleuchteten Straße heimwärts, und auf dem Gehweg kommt mir eine suspekte Gestalt entgegen. Bärtig, vierschrötig, furchteinflößend. Ich will der potenziellen Gefahr entgehen und überlege, ob ich die Straßenseite wechseln soll. Doch schaut mich nun der Entgegenkommende an und wechselt seinerseits alarmiert die Seite. Ja, der verdächtige Typ, das bin ich. Der böse Mann, vor dem andere den Gehweg wechseln.

»Unsere Empfehlungen für Sie«, begrüßt mich amazon.de am heimischen Computer. Wie nett. Wenigstens der Onlinehändler hat keine Angst vor mir, beziehungsweise vor meiner Kreditkarte. Und seine Empfehlungen, speziell für mich? Ich soll mir »Englisch mit Bibi Blocksberg« zulegen und die CD »Erotic Lounge«, die ich längst besitze. Außerdem das »Plüschpferd Pinto mit Sound und Sattel, bis 100 kg belastbar«. Unverschämtheit, wer wiegt hier 100 Kilo? Aber mal davon abgesehen: Verblüffend, wer heute alles etwas über einen weiß oder zu wissen glaubt.

Früher las der Postbote die Urlaubsansichtskarten meiner Freunde, die Lebensabschnittsgefährtin durchsuchte auf der Suche nach Lektüre vor dem Waschen die Taschen meiner Jeans, und die Hexe in der Nachbarwohnung lauschte mit dem Weinglas an der Wand, bis sie sich ausreichend empören konnte. Aber so gehörte sich das: Die Verletzungen der Privatsphäre folgten nachvollziehbaren Kriterien.

Und heute? »Magdi you are moron«, grüßt mich eine Mail. Die »Freunde-Suchmaschine« StayFriends informiert mich: »Magdi, Sie haben neue Mitschüler«, was mich schon etwas wundert, denn ich habe vor 22 Jahren Abitur gemacht und die Schule verlassen. Und eine mir nicht erinnerliche Maria aus Kasachstan schreibt »Hallo mein Freund«. Um fortzufahren: »Du bist verwundert, diesen Brief zu bekommen. Wahrheit? Einfach so es sich ergab, dass ich dich vollkommen nicht weiss.«

Viele wissen mich vollkommen nicht, aber trotzdem kursieren allerlei Informationen über mich. 100 Kilo und so. Im Briefkasten liegt derweil ein Brief von Ulrich Wickert. Es geht um Afrika-Hilfe, aber auch Herr Tagesthemen a.D. kennt nicht jedes Detail über mich: »Liebe Frau Magdi ...« Aber vielleicht kennt mich Herr Wickert auch besser als ich mich selbst. Der Esprit-Modeshop empfiehlt mir nämlich »feminine Lässigkeit mit neuen Jeansröcken«.

Mann oder Frau, egal, entscheidend ist: Wir sind heute gläserne Kunden, Patienten, Bürger. Ich will es lieber gar nicht so genau wissen, wer alles was über mich weiß. Die Mitarbeiter meiner Krankenkasse kennen dank Chipkarten jedes meiner Hühneraugen persönlich. Mein Kreditkarten-Institut hält mich längst für einen dauergeilen Vollidioten, der es mit Plüschpferden treibt. Und mein Telefonanbieter speichert ab, wenn ich mal aus Versehen eine 0190er-Nummer wähle oder Quizfragen des Privatfernsehens beantworte: »Was ist Eis? A) Gefrorenes Wasser. B) Gasförmiges Wasser.« Ich rufe da auch nur an, weil ich die Lösung kenne: Es ist A.

Jetzt läutet das Telefon, aber es nicht der Privatsender, der mich über einen Gewinn informieren will, sondern es ist mein Freund Magnus, eine lebende 0190-Nummer. Er erzählt mir eine schön saftige Geschichte, wie er eine ... wie auch immer, auf jeden Fall hält er plötzlich, kurz vor dem Höhepunkt sozusagen, inne.
»Hört auch niemand mit?«
»Meine Frau ist mit den Kindern unterwegs.«
»Die meine ich nicht!«
»Was meinst Du sonst?«
»Du bist doch Araber. 11. September, Schläfer, innere Sicherheit und so.«
»Ich bin nur Halbägypter und kann keine einzige Sure zitieren.«
»Du hast einen Bart.«
»Aber keinen Pilotenschein.«

Fliegen, Araber – natürlich das Klischee. Bei einer Urlaubsreise hatte meine Gattin versucht, den Security Check im Flughafen mit einem Epiliergerät im Handgepäck zu passieren, und uns damit ein ernstes Problem beschert. Wahrscheinlich hatten die Sicherheitsbeamten folgende Szene imaginiert: Irgendwo über dem Meer schnellt meine Frau – Deutsche zwar, aber mit meinem arabischen Nachnamen versehen – aus der Deckung eines Servierwagens empor, greift sich eine Stewardess, hält diese mit ihrer ungewöhnlichen Waffe in Schach und schreit: »Allahu akbar! Diese Maschine fliegt nach Tripolis, inschallah! Wenn unseren Anweisungen nicht Folge geleistet wird, werden wie alle zehn Minuten einen Passagier enthaaren!«

»Hörst Du mir überhaupt zu«, schreit Magnus ins Telefon und holt mich zurück. »Wolfgang Schäuble hat es auf Typen wie Dich abgesehen!«
»Das ist doch albern. Ich bin ein harmloser Journalist und deutscher Steuerzahler.«
Es knackt in der Leitung. Ach was, es kann heute gar nicht mehr in der Leitung knacken, ist schließlich alles digital.
»Hast du das Knacken gehört?«, fragt Magnus.
»Wir sollten nicht paranoid werden.«
»Wieso paranoid? Du bist längst verdächtig«, sagt Magnus und legt auf.

Recht hat er. Die – anfänglich geschilderte – nächtliche Begegnung in der dunklen Straße kommt mir wieder vor Augen: Ja, ich bin ein suspekter Typ. Ein böser Mann. Wahrscheinlich sammeln und analysieren BND, CIA und der kasachische Geheimdienst KNB alle verfügbaren Informationen über mich. Die Amerikaner sind alarmiert, weil ich Englisch lerne, wenn auch mit Bibi Blockberg. Epiliergerät heißt auf Englisch schließlich »Epilator«, das klingt ziemlich martialisch. Und die Kasachen werfen ein Auge auf mich wegen dieser Maria, denn die meint es ernst mit mir: »Ich werde froh sein, dich besser zu erfahren. Ich will dass du ehrlich und aufrichtig mit mir war. Keiner Spiele, bitte.«

Ja, keiner Spiele bitte. Aber so leicht sollten wir es ihnen doch nicht machen, den Big Brothers dieser Welt. Ich beschließe mich zu ändern: also unverdächtig zu werden. Ich werde mich rasieren. Ich werde nicht 100 Kilo wiegen. Und ich werde den deutschen Namen meiner Frau annehmen. Aber nur, wenn sie das Epiliergerät wegwirft.

Mit einem neuen Namen bekomme ich dann hoffentlich auch andere Amazon-Empfehlungen. Denn jetzt soll ich mir auch noch das Buch »Neue Wege zu einer vertrauten Mensch-Pferd-Beziehung« zulegen, und ich weiß nicht, ob das allein wegen des Plüschpferds Pinto wirklich notwendig ist. Außerdem soll ich das Badehandtuch »Pferd vor Sonnenuntergang« kaufen und die CD »Erotic Lounge«. Schon wieder. Aber warum auch nicht, ich könnte ja Maria aus Kasachstan ein Exemplar schicken.