05.05.06

Magdi Aboul-Kheir

Kein Päckchen für Herrn Apfelkefir

Wenn dumme Menschen meinen, Originelles zu tun, kommt nichts Gutes heraus. Das gilt auch für Lehrer. Nicht wenige Exemplare dieser Spezies bauen sich vor der Klasse auf und rufen schrill: »Abfrage!« Dann folgt ein grenzdebiles Grinsen, das sardonisch wirken soll, und der Griff zur Klassenliste: »Beginnen wir vorn im Alphabet.« Haha. Vorn im Alphabet ist Aboul-Kheir. War es immer. Mitmenschen namens Abele und Abduschaparow sind rar, in meiner Schulzeit zumindest kamen sie nicht vor.

Natürlich ist das ist lange her. Dennoch muss ich daran zurückdenken, als ich vor dem Postschalter anstehe, um ein Päckchen abzuholen. Längst empfinde ich meinen exotischen Namen mit seiner Spitzenstellung im Alphabet als Vorteil; schon lange hat sich mein Wunsch verflüchtigt, unscheinbar Michael Meier, Markus Müller oder Sandokan Schmidt heißen zu wollen. Das A steht für: allerschnellstens an der Reihe sein.

»Bitte?« Der Postbeamte greift sich mein Abholkärtchen, liest, stutzt, liest nochmal. »Mag... Ab.. Ab... K... Welches davon ist Ihr Nachname?«
»Aboul-Kheir«, sage ich. »Mit A«, sage ich. »Ganz vorn im Alphabet«, sage ich. Man kann ja nie wissen.

Man könnte meinen, dass ich früher als leidgeprüfter Schüler – um die fehlende geistige Frische der Lehrkräfte wissend – immer gut auf das tägliche Abfragen vorbereitet war. Das Gegenteil war der Fall. Wie ein Roulettespieler, der achtmal in Folge vergeblich auf Rot gesetzt hat und es das neunte Mal wieder tut, dachte ich: »Das macht der Depp nicht noch einmal«. Oder »Der wird doch nicht auch so einfältig sein«. Im Roulette kam Schwarz und in der Schule ich dran. Der Roulettespieler: kein Geld. Ich als Schüler: miserable Noten.

»Unter A kann ich nichts finden.« Der Postler ist mit leeren Händen zurückgekommen.
»Aboul-Kheir«, sage ich.
»Ja. Unter A ist aber nichts.«
»Schauen Sie unter M nach«, seufze ich, »manche Zusteller denken, Magdi ist mein Nachname und Aboul-Kheir der Vorname. Sowas wie Klaus Maria oder Heinz-Rüdiger auf Arabisch.«
Kopfkratzend macht sich der Mann von dannen. Wahrscheinlich überlegt er sich beleidigende Verballhornungen meines Namens.

Jedermanns Name wird häufig und gern entstellt. Dazu muss man nicht Aboul-Kheir heißen. Tut man es doch, bekommt man Briefe an die Herren Abulski, Apollo und – meine Lieblingsvariante – Apfelkern. Aber wenigstens kommen sie an. Briefträger sind einiges gewohnt und findig. Findiger als mein Schalterbeamter, der schon wieder ohne Erfolgserlebnis andackelt.
»Unter M ist nichts.«
»Haben Sie schon unter K nachgesehen? Es heißt zwar Aboul-Kheir, aber manche glauben ...«

Manche Lehrer waren einst noch origineller als andere. »Abfrage! Alphabetisch« – Spannungspause – »von hinten.« Entspannung bei Aboul-Kheir. Mein Schulkamerad Ziegler hasste diese Dramaturgie. Es sei denn ... »War nur ein Witz! Aboul-Kheir ist dran.«

Aboul-Kheir ist jetzt zwar dran, aber er bekommt sein Päckchen nicht.
»Unter K ist auch nichts«, sagt der Postbeamte, für meinen Geschmack ein zu wenig kleinlaut.
Die Schlange hinter mir ist auch nicht kleinlaut.
»Und nun?«
»Wir haben wohl kein Päckchen für Sie«, lautet die dummdreiste Schlussfolgerung des Angestellten.
»Haben Sie wohl«, beharre ich, »sonst hätte ich doch kein Abholkärtchen erhalten.« Der Moment, an dem mein Geduldreservoir zur Neige geht, nähert sich.
»Und jetzt?«, fragt der Dienstleister.
»Woher soll ich das wissen?« Okay, der Moment ist da. »Ich will mein Päckchen! Und wenn Sie das ganze Alphabet durchsuchen. Fangen Sie am besten vorne an. A hatten Sie zwar schon, aber ...«
Missmutig, aber immerhin, stapft er wieder nach hinten.

In genau solchen Situation wünsche ich mir dann doch, Michael Meier oder Sandokan Schmidt zu heißen. Dann hätte ich mein Päckchen schon lange. Wieso hatte mein Papa seinen Namen vor mehr als einem halben Jahrhundert nicht korrekt eingedeutscht, als er deutschen Boden betrat? Dann hieße ich jetzt – Aboul-Kheir wörtlich übersetzt – Vater des Reichtums. Obwohl, das wäre auch nicht gut: Haste mal nen Euro, Vater des Reichtums? Außerdem: Wäre die Post dann unter V oder R eingeordnet?

Der Beamte hält mir ein Päckchen unter die Nase. Ich schaue ihn fragend an.
»Unter N«, murmelt er missmutig. Dann blickt er mich fragend an.
»Heißen Sie Nagdi Abdul Kefir?«

Illustration von Martin Rathscheck

Illustration von Martin Rathscheck