Illustr(i)er das Tier!

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05.09.07

Magdi Aboul-Kheir

Wurstfraß, Gurkenmampf und Doofkappe in freier Wildbahn

Wisent, Gelbohrsittich und Blattfußkrebs sind vom Aussterben bedroht. Das bekümmert den Tierfreund, und doch hat er auch Grund zur Freude, denn Mutter Natur verblüfft ihn andererseits mit bislang unbekannten Arten. Kaum zu glauben: Diese neuen Spezies sind sogar mitten in einem Zoo zu entdecken.

Aber der Reihe nach. Die Stuttgarter Wilhelma, ohnehin einer der schönsten und artenreichsten deutschen Tiergärten, hat kräftig Zuwachs bekommen. Gemein, ja böse wäre es zu behaupten, das liege lediglich an der Jubiläumsveranstaltung »100 Jahre Edeka«, wegen der im ganzen Areal Nahrungsmittelfirmen ihre Stände aufgebaut haben, dort Gratishäppchen und Kostproben anbieten.

Nein, das kann es nicht sein. Es muss sich hingegen um einen radikalen Evolutionsschub handeln, denn es gibt eine neue Artenvielfalt zu bestaunen, von der nicht einmal Grzimek zu träumen gewagt hätte. All diesen Spezies ist gemein, dass sie sich offenbar im »Schlemmerland Baden-Württemberg« heimisch fühlen und zu den Familien der Schnäppchenjäger oder Raffzähnen gehören. Sie tragen kein Fell oder Federkleid, sondern bevorzugen legere Freizeitkleidung, insbesondere Trainingsanzüge und Leggings, Schlappen und Sandalen mit Socken. Etliche gehören zur Gattung der Rucksack- oder Taschentragenden, wodurch sie noch mehr Beute zum heimischen Bau schleppen. Auffallend ist der extreme Herdentrieb und die Neigung zur Rudelbildung.

Aber nun mitten hinein ins Tierreich mit seinen neuen Bewohnern. Der Speichelnde Krumenkoster war offenbar einst in Trockengebieten beheimatet, was man an seiner Vorliebe für staubigen Streuselkuchen und steinharte Cracker erkennt. Er entwickelt viel Geschick, wenn es darum geht, möglichst viele Happen auf der Pfote zu stapeln und zu balancieren. Der Schmerzresistente Schluckspecht ist bereit, sich in der Hitze eine halbe Stunde lang für 0,2 Liter Fuselschaumwein lang anzustellen, die er dann in zwei Sekunden in sich hinein schüttet. Der Süffelnde Mineralstoffwechsler ist hingegen an tresenähnlichen Quellen anzutreffen. Um ihn anzulocken, bedarf es lediglich ungenießbarer Lifestylegetränke mit leuchtenden Farben und Slogans wie »Sportwasser mit Magnesium-Calcium-Power«.

Wer dachte, der Klebmundige Bananenstopfer sei seit dem Wahlkampf Ost anno 1990 ausgestorben, erlebt am Chiquita-Stand eine Überraschung. Er lebt, schält und stopft wie nie zuvor. An der Vivil-Hütte lässt es sich derweil der Sabbernde Dauerschlotzer gutgehen. Er ernährt sich ausschließlich von Zuckeraustauschsubstanzen, Vitaminzusätzen und naturidentischen Aromastoffen in Pastillenform.

Während es im Aquarium die ordinäre Seegurke zu sehen gibt, erstaunt nebenan am Hengstenberg-Stand der Sauertöpfige Gurkenmampf durch konsequent monokulturelles Fressverhalten. Nacheinander schlingt er sich durch Senfgurken, Gurken Polnische Art und Pariser Cornichons, um sich danach an Knax- und Sticksi-Gurken zu laben. In der Ruhephase stößt er sauer auf.

Am Stand der Molkerei Ehrmann gibt es eine besonders drollige Spezies zu beobachten: die Uneitle Doofkappe. Sie hat den Drang, sich bunte Werbehütchen zu krallen, zuweilen mehrere, die sie dann auch gern alle gleichzeitig aufsetzt. Jede Doofkappe versucht sich von ihren Artgenossen durch individuelle Tragweisen der Hütchen abzugrenzen: Mal die Krempe umgeklappt oder aufgerollt oder nach innen gestülpt, dem Erfindungsreichtum scheint keine Grenzen gesetzt. Diese Eigenart dient – zusammen mit den schreienden Farben und dem plakativen Werbeaufdruck – offenkundig nicht zur Tarnung, sondern um Aufmerksamkeit in der Balz zu erzeugen. Die zahlreichen Jungtiere lassen darauf schließen, dass der Bestand der Uneitlen Doofkappe gesichert ist.

Die Doofkappe ernährt sich ausschließlich von Joghurtdrinks, hat aber dabei – trotz zehn ausgebildeter Finger – motorische Schwierigkeiten, die Plastikverschlüsse der Becher zu entfernen und die Nahrung säuberlich zu sich zu nehmen. Schon von weitem ist sie daher an der spezifischen Joghurtverkleckerung zu erkennen, und nach einem halben dutzend Drinks ist ein solches Exemplar nur noch durch den halbwegs aufrechten Gang und den Werbehut vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein zu unterscheiden. Das Revier markiert die Doofkappe durch Wegwerfen der Plastikverschlüsse.

Der Gierschlundige Wurstfraß ist vor allem durch Delikatesslyoner-Dosen und Billig-Grillwürstchen aus dem Vakuum-Vorratspack anzulocken. Er erweist sich als enorm flexibel, frisst das Würstchen auch ohne Brötchen, wahlweise aus oder mit der Serviette. Fettige Gliedmaßen schmiert er sich gern an der Oberbekleidung der Partnerin ab, welche das als Aufforderung zum Nachschuborganisieren begreift.

Die meisten der neuentdeckten Spezies haben keine natürlichen Feinde – außer ihresgleichen. Ihren Artgenossen gegenüber verhalten sie sich oft aggressiv, besonders wenn sich Engpässe andeuten und der Nahrungsnachschub in Frage gestellt erscheint. Drohen die Vorräte an den Futterständen ernsthaft auszugehen, kommt es zu Unmutslauten, Drohgebärden und Panikattacken. Beruhigung tritt erst wieder am Bierstand ein, wo sich vor allem die männlichen Exemplare des Gemeinen Dickbauchs zusammenrotten. Auch hier dienen die Weibchen als bevorzugte Nachschublieferer. Wie die Sanitäranlagen verraten, zeichnen sich alle Arten durch eine sehr angeregte Verdauung und Ausscheidung, aber wenig Sauberkeit aus.

Obwohl es sich von der ersten Anschauung her um recht hoch organisierte Lebensformen handelt, sollten sie hinsichtlich ihres kognitiven Potentials nicht überschätzt werden. So stellen sich selbst erfahrene Alttiere gern neben ein Schild mit der Aufschrift »Bitte nicht füttern! Tiere beißen!« und verköstigen andere Gattungen mit Speiseabfällen, wobei sie prompt gebissen werden. Die Prozedur wird, trotz schmerzhafter Episoden, mehrfach wiederholt. Die Erwachsenen halten dabei die Jungtiere an, es ihnen gleichzutun. Auch wird der Nachwuchs von klein auf nachhaltig geschult, das Jagd- und Sammelverhalten zu imitieren.

Wer sich längere Zeit mit dem Zuwachs im Tierreich beschäftigt, kommt zu einem Forschungsergebnis, das nichts weniger als eine zoologische Sensation darstellt: Es handelt sich gar nicht um so viele neue Spezies, vielmehr um kaltblütige Formwandler oder Spontanmutierer. Ein Gierschlundiger Wurstfraß ist etwa eine halbe Stunde später als Speichelnder Krumenkoster anzutreffen, und noch etwas später zeigt er sich als Klebmundiger Bananenstopfer.

Die Eigenschaften und Verhaltensmuster führen allerdings zu erschreckenden degenerativen Erscheinungen. So spielen sich in der Nähe des Ausgangs traurige Szenen ab: Da liegt ein Wesen jammernd auf dem Boden, dass sich offenbar solange abwechselnd als Wurstfraß, Gurkenmampf und Schluckspecht materialisiert hat, bis Unwohlsein, Völlegefühl und Desorientierung über es gekommen sind. Auf dem Kopf trägt es drei rote Werbehüte.

Illustration von Ilona Kuboth

Gierschlundiger Wurstfraß? Speichelnder Krumenkoster?

Illustration von Ilona Kuboth

Illustr(i)er das Tier!

In Magdi Aboul-Kheirs spontanmutierendem Wilhelmabestiarium haust fürwahr ein ganzer Zoo neuer Lebensformen. Diese Kreaturen, die die Welt noch nicht – mit Ihren Augen – gesehen hat, schreien doch nach Illustrationen! Malen Sie uns das aus! Der Speichelnde Krumenkoster, der Schmerzresistente Schluckspecht, der Süffelnde Mineralstoffwechsler, der Klebmundige Bananenstopfer, der Sabbernde Dauerschlotzer, der Sauertöpfige Gurkenmampf, die Uneitle Doofkappe, der Gierschlundige Wurstfraß und der Gemeine Dickbauch, wie haben die Leser sich dieses Viehzeug vorzustellen?

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