05.10.08

Magdi Aboul-Kheir

Durchs Wurmloch zu Jesu Unterhose

Wenn Kinder fragen, sind sie gesund. Nach dem Gesundheitszustand der Eltern erkundigt sich niemand.

Wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt, bleibt dumm.
Selbstverständlich ist es wunderbar, Kindern den Lauf der Jahreszeiten und den Schwänzeltanz der Biene zu erkären. Es ist toll, ihnen das Pendeln der alten Standuhr und die Grundzüge der Wurmlochastrophysik zu erläutern. Beziehungsweise wäre es wunderbar und toll, wenn es einem wirklich gelänge, ihnen diese Phänomene zufriedenstellend zu erklären. Leider gelingt das noch nicht einmal mit Jahreszeiten und Uhren. Und es gibt offenbar keinen finalen, autoritär in den Raum gestellten, eigentlich keinen Widerspruch und kein Nachhaken mehr duldenen Aussagesatz, der nicht von einem fröhlich neugierigen »Warum?« gekontert wird. Wahlweise mit »wieso?« oder »weshalb?«

Immerhin lassen sich die gängigen naturwissenschaftlichen Fragen mit vereinten familiären Kräften, Enzyklopädien, Wikipedia, Google, der Sendung mit der Maus und mehreren Telefonjokern zumindest ungefähr beantworten. Mit solchen im Prinzip lösbaren Aufgabenstellungen begnügen sich Kinder freilich nicht. Sind genug simple Fragen für einen normalen Tag gestellt und irgendwie beantwortet worden, so etwa 273 Stück, folgen die besonderen Fälle. »Wieso ist Glas durchsichtig?«, »Wieso hat Wickie eine rosa Strumpfhose an?«, »Warum wird unser Auto nie gewaschen?«, »Warum hat die Mama keinen Piller?«

Das Problem ist, dass auch scheinbar vernünftige Antwortversuche oft scheitern. Weil sie nicht wirklich etwas erklären. »Die Mama hat keinen Piller, weil sie eine Frau ist« – damit ist einem Kind nichts begreiflich gemacht. Das Warum bleibt im Raum stehen. Außerdem folgt dann: »Und warum hast Du keine Mumu?«

Eines Tages, nach einem Kirchgang des Kindergartens, konfrontierte mich Dana damit: »Warum hat der Jesus am Kreuz nur eine Unterhose an?« Weil er tot ist? Weil er arm war? Weil er in einem heißen Land gelebt hat? Was das dort dereinst Brauch war? Das sind keine Antworten, sondern Belege meiner Hilflosigkeit, und die behalte ich lieber für mich. Anderes fällt mir aber leider auch nicht ein. Ich suche im Internet, stoße aber nur auf Seiten, die Unterwäsche mit aufgedrucktem Glaubensbekenntnis anpreisen, und seltsamerweise Seiten, die sich mit Mel Gibson beschäftigen. Am Tag drauf gebe ich die Frage an die Kindergärtnerin weiter, die hat mir die Sache schließlich eingebrockt. Die Erzieherin erzählt ohne zu zögern, wie wertvoll selbst Stofffetzen zu Jesu Zeiten waren, wie Schacherer dahinter her waren und sie daher vor ihnen in Sicherheit gebracht wurden; ich denke mir, darauf hätte ich auch kommen können. Bin ich aber nicht.

Die Kinder selbst wissen hingegen, wie man sich im Nu lästiger Fragen entledigt. Perfektioniert hat die Antworttechnik meine Tochter Ida, als sie zweieinhalb Jahre alt war.
Frage: »Warum bohrst Du schon wieder in der Nase?«
Antwort: »Weil ich mach.«
Frage: »Weshalb hast Du schon wieder Dein Glas umgeschmissen?«
Antwort: »Weil ich hab.«
Frage: »Wieso ist es im Kinderzimmer schon wieder so unordentlich?«
Antwort: »Weil es ist.«

Eine ziemlich beeindruckende Taktik. Wieso strample ich mich auf jedes »Warum?« so armselig ab, wenn es doch so einfach geht? Weil ich mach. Weil ich hab. Weil es ist. Lerne von den Siegern!

Kürzlich zitierte mich der Chef in sein Büro. »Wieso schreiben Sie schon wieder einen Artikel über Horrorfilme, das interessiert doch keinen?« Ich dachte an Ida. Und antwortete: »Weil ich schreib.«

Am Abend ranzte mich meine Frau an. »Warum hast Du schon wieder drei Bier getrunken? Und warum holst Du Dir noch eins?«
»Weil ich hab, und weil ich mach.«

Nein, es hat in beiden Fällen nicht funktioniert.

Diese Kolumne finden Sie auch in Magdi Aboul-Kheirs Buch »Papa fertig!« – zusammen mit einer großen Auswahl der beliebtesten Kolumnen (in neuen, teils stark erweiterten Fassungen), aber auch etlichen neuen Texten.