05.12.06

Magdi Aboul-Kheir

Muh und heil, endlich sind wir normal

Im Internet gibt es eine Homepage, auf der man von einer freundlich muhenden Kuh begrüßt wird. Die Seiten gehören zum Bundesverband deutscher Milchviehhalter. Der wurde im Januar 1998 gegründet, und ich lese staunend: »Wie der Name schon deutlich macht, handelt es sich beim BDM um einen Verband von Milchviehhaltern aus ganz Deutschland.«

Bislang hatte ich gedacht, der BDM sei eine Nazi-Organisation gewesen, Bund deutscher Mädel, aber so kann man sich irren. Nein, nein, erfahre ich nun, der BDM geht auf Vereinigungen wie die Arbeitsgemeinschaft noch produzierender Landwirte in Ostbayern und die Interessengemeinschaft aktiver Milchviehhalter Nordrhein-Westfalen zurück. Mittlerweile zählt der BDM mehr als 9000 Mitglieder, wird stolz vermeldet.

Ich lese auf der Homepage Sätze wie »Der BDM ist ein unabhängiger und überparteilicher Verband« und »Oberstes Ziel des Verbandes ist Bündelung von Kräften, damit der einzelne nicht im Überlebenskampf untergeht«. Der überparteiliche BDM, der die Kräfte bündelt ... Habe ich es hier mit einer besonderen historischen Unsensibilität zu tun oder mit meiner eigenen Übersensibilität?

Könnten sich nicht einfach BVDM nennen (nein, das ist schon der Bundesverband der Motorradfahrer) oder BDMV (nein, das ist die Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände) oder BDMH (nein, das ist der Bundesverband der Deutschen Musikinstrumenten-Hersteller) oder BDMVH (ha, das gibt es noch nicht!). Okay, BDM muss es anscheinend sein.

Es gibt übrigens auch schöne BDM-Aufkleber mit einer Farbmindesthaltbarkeit von drei Jahren: »Sie sind ideal zum Aufbringen auf dem Schlepper, dem Ladewagen, dem Güllefass, dem Anhänger oder dem Auto.« Güllefass erscheint mir adäquat.

Vor Jahren schrieb ich einen Artikel über einen Stockschützenverein aus der bayerisch-schwäbischen Provinz, der sich nicht »SV« und nicht »SSV«, sondern deftig-unbeirrbar mit »SS« abkürzte. Der Herr Vorsitzende belehrte mich, dass man mit dem Kürzel selbstverständlich auch auf Turnieren antrete; noch nie habe sich jemand darüber beschwert, umbennen käme nicht in Frage und überhaupt: »Wir sind 50 Jahre weiter, da muss das mal erledigt sein.«

Natürlich weiß ich, dass in medizinischen Foren »Schwangerschaft« mit »SS« abgekürzt wird; werdende Mütter besuchen dann die »SS-Gymnastik«. Natürlich weiß ich, dass man sich an Universitäten nun für das »SS 2006« einschreibt, selbst Geschichtsstudenten tun das. Natürlich weiß ich, dass der Bahnfreund nicht »Schutzstaffel« liest, sondern »Sammelschiene«. Natürlich übersetzt der moderne, wiedervereinigte Deutsche »SA« nicht mit »Sturmabteilung«, sondern mit »Sachsen-Anhalt«.
Natürlich weiß ich, dass Serbien sich um das Autokennzeichen »SS« bemüht und Internetseiten aus Kasachstan »KZ« als Domainbezeichnung tragen. Hingegen, immerhin, wer in seinem deutschen Autokennzeichen »SS«, »SA«, »HJ« oder »KZ« führen mag, wird von der Kfz-Zulassungsstelle enttäuscht. Es gibt eine Empfehlung vom Bund-Länder-Fachausschuss Fahrzeugzulassung, diese belasteten Kürzel nicht zu vergeben. Das ist doch was. Auch die Jugend gibt Anlass zur Hoffnung – auf eine Barackenwand nahe unserer Wohnhauses hat jemand ein durchgestrichenes Hakenkreuz gesprayt und daneben geschrieben: »Hitler ist doff«.

Ich weiß: »Du bist Deutschland«, wir hatten die ganze Welt zu Gast bei Freunden, wir sollten endlich, endlich wieder »normal« sein und die Moralkeule in die Ecke legen, und ich lache auch, wenn mein Handy im T9-Texterkennungsmodus bei SMS-Tippen statt »geil« lieber »heil« vorschlägt. Und ich sollte jetzt auch in der Vorweihnachtszeit nicht zusammenzucken sollen, wenn meine vierjährige Tochter mit einem besonderen Schmuck aus dem Kindergarten nach Hause kommt: An ihrer Jacke prangt ein gelber Davidstern, auf dem ihr Name steht. Schon klar, was sich die Erzieherinnen gedacht haben und was nicht: Der Sechszack ist schnell und einfach zu basteln, und das schön leuchtende Gelb haben sich wahrscheinlich die Kinder als Farbe gewünscht. Ich weiß schon, ich sollte die Erzieherinnen einfach ihren Job machen lassen; immerhin haben sie den nicht beim BDM gelernt. Zur Erinnerung: Das sind die Milchviehhalter.