06.08.12

Magdi Aboul-Kheir

Die nudefarbene Gefahr

Ich bin ja ein Mann von Welt, daher kenne ich Ocker und Perlmutt, Mauve und Taube. Es handelt sich dabei, für all jene nicht von Welt, um Farben. Nun aber ist mir von einer Verkäuferin ein »nudefarbenes« Sommersakko vorgeschlagen worden. Ich finde und entgegne, das Sakko sieht beige aus, und nicht jeder Nudist ist beige. Die Verkäuferin belehrt mich aber: »Das ist nicht beige, das ist nudefarben.« Ich schaue sie an und denke mir, die sieht nackt doch ganz anders aus als ich, behalte das freilich für mich.

Das Thema erinnert mich an »hautfarbene« Damenwäsche, die mich ebenso irritert, denn zwischen der Hautfarbe von, sagen wir mal, Kate Moss und, sagen wir mal, Idi Amin, gibt es doch gewisse graduelle Unterschiede. Wobei Idi Amin wahrscheinlich keine Hautfarben getragen hat. Höchstens Nudetöne.

Da ist es mit Weiß doch einfach. Weiß ist Weiß. Das denke ich zumindest, bis ich mir über die Anschaffung eines neuen Autos Gedanken mache und feststelle, dass VW »Candy-Weiß« im Programm hat, Ford »Frostweiß« und Volvo »Polarweiß«. Auf den Fotos sehen die Autos eigentlich allesamt weiß aus.

Bei weitergehenden Recherchen stoße ich auf, Achtung, jetzt wird's differenziert und ausführlich: »Schneeweiß« (Opel, Peugeot, Kia), »Alpinweiß« und »Mineralweiß« (BMW), »Arktisweiß« (Renault), »Bianco Ghiacchio«, also »Eisweiß« (Alfa Romeo), »Arctic White« (Saab), »Novaweiß« (Toyota), »Anden-Weiß«, »Island-Weiß« und »Sophia-Weiß« (Mitsubishi), »Galaxy White« und »Olympic White« (Chrysler), »Bianco avus« und »Bianco Italia« (Ferrari), »Stone White« (Dodge), »White Cloud« und »Show White« (Lada), »Fuji White« (Range Rover), »Pepper White« und »Light White« (Mini), »Polaris White« (Jaguar), »Arctic White« und »English White« (Rolls Royce), »Mint White« (Tata), »Satin White Pearl« (Subaru), »Kristallweiß« (Smart) sowie »Zirrusweiß« und »Diamantweiß« (Mercedes). Nissan hat tatsächlich eine Farbe im Angebot, die nur »White« heißt, legt aber auch noch ein »Brilliant White« drauf. Nissan lässt es mit »Taffeta White«, »Premium White Pearl« und »Spectrum White Pearl« richtig krachen, aber den weißen Vogel schießt Fiat ab: mit »Bossa Nova Weiß«, »Funk Weiß«, »Glory Weiß«, »Ambient Weiß«, »Easy Listening Weiß«, »Perlmutt Weiß« und »Castlewalk Weiß«. Weiß der Teufel ...

Ähnlich differenziert wie die Automobilindustrie sind in Sachen Farben nur noch meine Töchter. Durch sie habe ich erfahren, dass es nicht nur gravierende Unterschiede zwischen Pink und Rosa gibt, sondern auch noch Glitzerpink und Glitzerrosa. Das sollte man denen bei Audi oder BMW auf keinen Fall weitersagen.

Natürlich ist das alles nicht aufregend. Ich weiß in Wirklichkeit gar nicht, wie man zu Farben überhaupt ein emotionales Verhältnis entwickelt, wie man eine Farbe ablehnen kann. Sollen sie doch allesamt mit ihrem Anden-Weiß, ihrer Nudefarbe oder ihrem Glitzerpink glücklich werden.

Das Gesagte gilt freilich nicht für Gelb.

Gelb geht gar nicht. Wer gelbe Kleidung trägt, sieht krank aus, von geschmacklos gar nicht zu reden. Gelb ist die Farbe von Urin, von Zahnbelag, von Eiter. Bananen kaufe und esse ich in grünem Zustand, statt Zitronen greife ich zu Limetten. Gummienten, Gummistiefel und Regenmäntel halte ich für überflüssig. Ich könnte nun recherchieren, welche Gelb-Kreationen die Automobilindustrie auf Lager hat, aber dabei würde mir übel werden. Deutschland feiert sich ja auch nicht schwarz-rot-gelb, sondern -gold.

Doch erstarre ich. Der Sommer 2012 wird gelb, lese ich bei »Zeit«-Stil-Obmann Till Prüfer. Gelb mache gute Laune, Gelb strahle. Als Gewährsleute werden mal wieder die alten Griechen aufgefahren - sie brachten Gelb mit der Sonne und den Sonnengöttern Helios und Apollo in Verbindung.

Naja, die Sache mit dem Licht hat auch der selbsternannte Farbgelehrte Goethe schon erkannt. Gelb sei »die nächste Farbe am Licht. Sie entsteht durch die gelindeste Mäßigung desselben, es sei durch trübe Mittel oder durch schwache Zurückwerfung von weißen Flächen.« Immerhin, so sah schon Goethe ein, mache die Farbe Gelb eine »sehr unangenehme Wirkung, wenn sie beschmutzt oder einigermaßen ins Minus gezogen wird«. Und erst auf unreinen, unedlen Oberflächen: »Durch eine geringe und unmerkliche Bewegung wird der schöne Eindruck des Feuers und Goldes in die Empfindung des Kotigen verwandelt, und die Farbe der Ehre und Wonne zur Farbe der Schande, des Abscheus und Mißbehagens umgekehrt.« Jawoll, Herr Geheimrat.

Wundert es einen dann, dass man in Europa bis ins Mittelalter Gelb benutzte, um Randgruppen zu markieren? Um nochmal Tillmann Prüfer zu zitieren: »Prostituierte mussten gelbe Kleidungsstücke wie ein Kopftuch oder einen Umhang tragen, um schon von Weitem erkennbar zu sein. Ebenso mussten Ketzer bei ihrer Hinrichtung ein gelbes Kreuz tragen. Bei Ausbruch der Pest wurde in mittelalterlichen europäischen Städten eine gelbe Fahne gehisst.« Und ja, auch McDonald's und die FDP sind gelb.

Doch jetzt lese ich, dass Wes Anderson, dieser wunderbare und vor allem stilsichere Regisseur, seine ganze Wohnung gelb eingerichtet hat. Sein Film »Moonrise Kingdom« fließt über vor Gelb-Tönen. Und eigentlich sieht der Film wunderschön aus.

»Sie könnten auch mal ein gelbes Sakko probieren«, flötet die Verkäuferin, »das könnte Ihnen toll stehen.«

Ach, endlich kann ich es zugegen: Ich liebe Sonnenblumen. Und ich stecke eine ans Revers meines neuen Sakkos.