06.12.03

Magdi Aboul-Kheir

Die Liebe der Gorgonzolafrau

Es geschah am Käsestand. Mitten im Wochenmarktgedränge zupfte mich eine mir gänzlich unbekannte Frau mit zersausten dunkelbraunen Locken und wirrem Blick heftig am Ärmel und setzte mich darüber in Kenntnis, dass sie unsterblich in Jürgen Trittin verliebt sei. Ich versuchte, mir den vollen Aussagegehalt und vor allem den Zweck ihrer Mitteilung zu erschließen, doch erfolglos. Da ich in keiner für sie adäquaten Weise reagierte, drehte sich die Frau weg, kaufte 300 Gramm Gorgonzola, einen Ziegencamembert und zwei dicke Scheiben Butterkäse.

Für den Rest des Tages war ich unansprechbar. Ich erinnerte mich an einen Mann, der mit Portraitfotos von Günter Grass und Saddam Hussein durch die Fußgängerzone gelaufen war, Passanten die Bilder unter die Augen gehalten und ihnen mitgeteilt hatte, dass es sich bei den beiden um ein und dieselbe Person handelte. Aber die Liebe der Gorgonzolafrau, die in meiner Welt Einzug hielt, hatte eine andere Dimension. Imaginierte Szenen des Schreckens – sie und Trittin engumschlungen auf einem Diwan Käsehäppchen essend – ließen mich nicht mehr los.

Ich brauchte Antworten. Befragte das Orakel Google. Verknüpfte bei der Suche Trittin und Käse. Nichts. Trittin und Erotik. Nichts. Auf Trittins Homepage stieß ich schließlich auf seine Lieblingslinks: »Küchenkräuter«, »Gute Weine«, »Alfred Biolek kocht«. Das alles passte – Liebe geht durch den Magen. Ein Zeichen. Trittin, Gorgonzola, Biolek.

Saure Linsen. Bei Bio hatte Trittin »Saure Linsen« zubereitet, und Bio im Gegenzug »Marokkanischen Schwertfisch«. Wusste die Gorgonzolafrau davon? Kocht Trittin mit Dosenlinsen aus pfandpflichtigen Linsendosen? Macht Dosenpfand erotisch? Was sagt Bio dazu? Den Pfeffer immer aus der Dose. Falsch, aus der Mühle.

Trittins Koch-Motto stammt noch aus seinen WG-Zeiten: »Wenn wir nicht nach Genuss streben, warum wollen wir dann die Revolution?« Das würde die Gorgonzolafrau nur so dahinschmelzen lassen. Nach Rezept köchelt der Minister übrigens fast nie: »Ich gehe los und lasse mich davon inspirieren, was es denn gerade so an frischen Sachen gibt.« Wahrscheinlich marschiert er schnurstracks auf den Markt, wo die hörigen Liebesdienerinnen reihenweise auf ihn warten. Auch René Kollo gesteht: »Ich gehe jeden Tag auf den Markt und gucke, was neu ist.« Die Sau.

Zu den »Sauren Linsen« werden geräucherte Putenwürste gereicht. Die Alfredissimo-User verleihen dem Trittinschen Topfgeschmurgle fünfeinhalb von sechs Biolek-Sternen; wahrscheinlich allesamt Frauen, die über Märkte taumeln. Warum nicht gleich »Filetsteak Schöne Maid«? Nein, das lassen wir den Tony kochen, fünf Sterne. Und was ist mit Grass und Hussein? Haben nicht bei Bio gekocht.

Ich war offensichtlich durch den Wind. Trittin und die Gorgonzolafrau – dieses aufdringliche Bild klebte an meinem Geist wie ein zäher Kaugummi an einer Birkenstocksohle. Weg mit dieser aufdringlichen, lähmenden, obszönen Fantasie! Aber wie?

Gestern war ich wieder auf dem Wochenmarkt. Ich lauerte am Käsestand. Kaum waren ein paar Stunden vergangen, erschien die Gorgonzolafrau. Ich erzählte ihr, dass ich total scharf auf Angela Merkel bin und kaufte drei Pfund Tilsiter. Das hat sie nun davon.