08.06.10

Magdi Aboul-Kheir

Keine Angst vor Schweißflecken und Zeckenbissen in der Wirtschaftkrise

»Papa, was kann ich mir davon kaufen?«
Seitdem sie laufen kann, findet meine jüngere Tochter Ina Geld. Auf der Straße. Manchmal einen Euro, aber meistens fünf Cent oder auch nur einen Cent. Aber sie könnte auf der Straße dümmere Sachen anstellen, als Geld aufzusammeln, und ihr Sparschwein füllt sich auf diese Weise allemal.
Jetzt hat sie mal wieder eine Zwei-Cent-Münze gefunden. »Papa, was kann ich mir jetzt davon kaufen?«
»Eine ganze Menge, mein Schatz!«

Doch, das stimmt! Ich lüge mein Kind nicht an. Denn in den Monaten, ach, in den Jahren der Finanzkrise haben sich unsere Maßstäbe schon spürbar verschoben. Es gibt heute vieles umsonst, das Internet ist voller Angebote wie »Hundefutter-Gratisprobe«, »Slip gratis testen« und »Zecken-Karte für lau«, »Gratisproben von Einlagen für den diskreten Schutz bei leichter bis mittlerer Blasenschwäche« und »Umsonst Achselpads gegen Schweißflecken«.

Man kann also längst ein schönes zeckengeschützes, schweißgeruchfreies und hundefuttergesättigtes Leben in attraktiven Testslips mit diskreten Einlagen führen. Andererseits muss man für eine reguläre CD noch immer satte 15 Euro hinblättern. Aber auch in Sachen Musikkauf sollte man lernen, den Cent zu ehren.

Ich habe bei Amazon eine CD bestellt, sie kostete 14,99 Euro. Am Tag, nachdem ich die CD geordert hatte, veränderte sich offenbar der Preis. Ich erhielt eine Mail: »Wir bestaetigen die Erstattung von 0,04 Euro fuer Ihre Bestellung.« Grund dafür sei die »Pre-order price protection«. Amazon geht weiter ins Detail:

»Und so setzt sich die Erstattung zusammen:
Artikel Erstattung: 0,03 Euro
Artikel erstattete Mehrwertsteuer: 0,01 Euro
Die Erstattung erfolgt wie im Folgenden aufgefuehrt:
auf Ihr Bankkonto: 0,04 Euro
Der Betrag wird innerhalb der naechsten 10 Werktage ueberwiesen.«

Wird er komplett überwiesen oder in zehn Raten à 0,4 Cent?

Wie ich sagte: Wir müssen unsere Maßstäbe verändern. Doch es geht noch besser. Für ein Filmfestival will ich mich als berichterstattender Journalist akkreditieren. Diese Akkreditierung muss ich online im Festival-Shop erstehen, es ist ein richtiger Einkauf samt virtuellem Warenkorb. Sogleich erhalte ich eine Mail:

»Sehr geehrte(r) Frau/Herr Magdi Aboul-Kheir, herzlichen Dank für Ihre Bestellung in unserem Film-Shop! Sie haben folgende Artikel bei uns bestellt:
1 Presse-Akkreditierung à 0,00 Euro = 0,00 Euro
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Artikel Gesamt: 0,00 Euro
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Versand: 0,00 Euro
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Gesamtsumme 0,00 Euro
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Zahlungsweise: Vorkasse«

Ich muss meine Rechnungsadresse und meine Bankverbindung angeben. Damit mir dann 0,00 Euro abgebucht werden können. Ob es auch hier Ratenzahlung gibt?

Auf jeden Fall freue ich mich auf das Filmfest. Ich werde meine neuen Slips tragen, Hundefutter knabbern, und dann kann ich immer noch die 4 Cent von Amazon auf den Kopf hauen. Für meine Tochter sehe ich trotz Krise eine rosige Zukunft.