08.10.02

Magdi Aboul-Kheir

Schröder, Salesch, Kachelmann: Die konsequente Mediendemokratie

10. Oktober 2002. Beflügelt von medialem Wahlkampf und -sieg ruft Bundeskanzler Gerhard Schröder die konsequente Mediendemokratie aus. Alle politischen Spitzenpositionen sollen einschaltquotenkonform und TV-kompetenzgemäß besetzt werden.

11. Oktober 2002. Außenminister Joschka Fischer will sich dem revolutionären Konzept Schröders nicht beugen. Er besteht darauf, sein Amt müsse vom populärsten Deutschen ausgefüllt werden. Das leuchtet Schröder ein: Mario Adorf wird Außenminister.

20. Oktober 2002. Schröder stellt sein Kabinett vor: TV-Stars, Medienprofis und -promis. Das Schlüsselamt des Wirtschafts- und Finanzministers wird mit Harald Schmidt besetzt. Der sei der Einzige, so Schröder, der stur und zynisch genug sei, um den schwierigen Weg der notwendigen Reformen zu gehen. Vor allem werde Schmidt keine noch so unpopuläre Äußerung oder Maßnahme übel genommen.

14. November 2002. Erst wenige Wochen im Amt, legt Familienminister Jürgen Fliege eine autobiografische Betrachtung vor: »Mein, Jürgen Flieges, Wirken und Schaffen und Können als Minister, ich hab's wirklich drauf, echt, Freunde«. Er muss zurücktreten.

Dezember 2002. Die Irak-Krise spitzt sich mal wieder zu. Justizministerin Bärbel Salesch vergleicht US-Präsident Bush mit Kaiser Bokassa, aber den kennt niemand mehr. Salesch bleibt im Amt.

Februar 2003. Bildungminsterin Sonja Zietlow kürt »Deutschlands klügste Bisamratte«. Kurz darauf beginnt sie mit einer beispiellosen Bildungsoffensive, als erstes werden an allen Schulen Klassenpflichtfahrten nach Pisa eingeführt; dort müssen sich alle schämen. Zudem wird der Unterricht nicht mehr von längeren Pausen, sondern von kürzeren Werbeblöcken unterbrochen.

März 2003. Familienminister Dieter Bohlen stellt einen Wertekanon für die deutsche Frau (»Tust Du kochen und nie klagen, wirst Du auch nicht so viel geschlagen«) vor, muss aber nach Protesten der Frauenministerinnen Abdel Farrag und Feldbusch zurücktreten.

April 2002. Verteidigungsminister Claude-Oliver Rudolph will aus der Bundeswehr eine Berufsarmee machen. Als klar wird, dass er die Soldaten mithilfe der Staatssekretäre Ralf Richter und Martin Semmelrogge ausschließlich aus seinem Bekanntenkreis rekrutieren will, kommen Zweifel an seiner Befähigung auf. Per Telefon rät ihm der Verteidigungsminister von Mallorca, Rudolph Scharping, auf keinen Fall zurückzutreten. Rudolph tritt zurück. Sein Nachfolger wird Graziano Rocchigiani.

Juni 2003. Arbeits- und Sozialminister Stefan Effenberg halbiert in einem überraschen Coup die Arbeitslosenzahl, indem mehr als zwei Millionen Deutschen einen Profivertrag beim VfL Wolfsburg vermittelt. Der Verein und VW sind nach drei Tagen pleite, Effenberg muss zurücktreten und wechselt zum FC Rüsselsheim. Das Amt des Arbeitsministers will in diesem Land niemand mehr und bleibt vakant.

Juli 2003. Umweltminister Jörg Kachelmann verbietet die Bezeichnungen »Hoch« und »Tief«, sie seien wertend, politisch also nicht korrekt und daher nicht tolerabel. Kritische Nachfragen kommentiert Kachelmann mit. »Es gibt kein gutes oder schlechtes Wetter, es kommt drauf an, was man draus macht.«

10. August 2003. Hochwasser verwüstet große Teile Ostdeutschlands. Kachelmann muss wegen seiner Äußerungen zurücktreten, zudem erinnern sich einige daran, dass er ohnehin Schweizer ist. Die meisten Fernsehzuschauer halten die Zerstörungsbilder aus den neuen Ländern für eine Wiederholung, daher schlüpfen auch nur wenige Politiker in ihre Gummistiefel. Familienministerin Jenny Elvers zieht nicht einmal die an, sondern lässt sich von BILD fotografieren, wie sie nackt durch die Fluten schwimmt. Sie muss zurücktreten und kündigt in einem schonungslosen BILD-Interview an, sich zu ändern und aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen.

11. August 2003. Jenny Elvers erklärt, wieder für ein politisches Amt zur Verfügung zu stehen, allerdings seriös, und lässt BILD zur Bekräftigung Nacktfotos machen, wie sie Sandsäcke abfüllt.

Oktober 2003. Verkehrsminister Michael Schumacher will das Tempolimit in geschlossenen Ortschaften aufheben und muss zurücktreten. Als Nachfolger wird Jan Ullrich gehandelt, der ist aber zu unmotiviert, sodass das Team von Medicopter 17 den Posten übernimmt.

November 2003. Bildungsministerin Zietlow kürt »Deutschlands klügste Topfpflanze« und will Günter Jauch einen eigenen Kanal verschaffen. Als den meisten bewusst wird, dass er den bereits hat, muss Zietlow zurücktreten. Ihr Nachfolger wird Günter Jauch.

Dezember 2003. Justizministerin Salesch vergleicht US-Präsident Bush mit Kublai Khan. Eine Reaktion bleibt aus.

Februar 2004. Die Regierungssprecher Erkan und Stefan kündigen krasse Steuererhöhungen an. Superminister Schmidt führt umfassende Risikoabgaben ein, unter anderem für Übergewicht, Untergewicht, Tanzen, Spaziergänge, Fernostreisen, Schnapspralinen (Alkohol plus Zucker plus Fett!), eheliche Treue, Fremdgehen, Fisting, zudem hohe Mobilitäts-Risiko-Steuern, unter anderem für Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger, Dreisinenfahrer, Sackhüpfer und Eierläufer. Gesundheitsminister Otfried Fischer protestiert gegen einige der Vorhaben, aber vergeblich.

April 2004. Um »die schulischen Prüfungsbedingungen den realen Aufgaben des Lebens anzugleichen«, führt Bildungsminister Jauch in Klassenarbeiten Joker ein. In der anstehenden neuen Pisa-Studie führt dies zu einem Fiasko für Deutschland (keine Joker), Jauch muss gehen.

Mai 2004. Der neue Kultusminister Dieter Bohlen setzt durch, dass im deutschen Radio zu 100 Prozent deutschsprachige Lieder gespielt werden. Die Eindeutschung alter Hits übernimmt Bohlen selbst, muss für seine Übersetzung eines »Modernes Sprechen«-Hits (»Du bist meine Härte, Du bist meine Sohle«) aber viel Spott ertragen. Er rennt nackt durch den Wald, wo er mit Jenny Elvers fotografiert wird.

August 2004. Mal wieder Hochwasser im Osten. Da keine Wahl ansteht, lässt sich niemand blicken.

Oktober 2004. Der Deutsche Botschafter in Israel, Jürgen W. Möllemann, wird nach einem gescheiterten Selbstmord-Fallschirmabsprung auf Ariel Scharons Sommerquartier abgezogen.

Dezember 2004. Justizminister Salesch vergleicht US-Präsident Bush mit Attila. Keine Reaktion.

Februar 2005. Innenminister Kaya Yanar gerät wegen seines Vorhabens, Deutsche zu Multi-Kulti-Assimilationskursen zu verpflichten, auch in den eigenen Reihen in die Kritik. Er bleibt aber stur im Amt und sagt in der Kabinettsitzung zum Kanzler: »Was guckst Du?«.

August 2005. Hochwasser, diesmal fließt es allerdings gar nicht mehr ab. Die Seenplatte Ostdeutschland wird zum touristischen Schwerpunkt.

Oktober 2005. Bildungsminister Dieter Wedel lässt die Nibelungen als Pflichtstoff an deutschen Schulen einführen und produziert »Die komplette Geschichte der Welt« als Vierteiler für das Schulfernsehen. Da Mario Adorf darin in 126 Rollen auftaucht, vernachlässigt der sein Amt als Außenminister und muss zurücktreten. Wedel bescheinigt der deutschen Politik insgesamt Unprofessionalität und geht gleich mit.

Mai 2006. Michelle gewinnt mit einer Ralph-Siegel-Produktion den Schlager-Grand-Prix. Kultusminister Bohlen verweigert den beiden die Wiedereinreise nach Deutschland und muss zurücktreten. Michelle übernimmt sein Amt.

Juni 2006. US-Präsident Bush hat herausbekommen, wer Bokassa, Kublai Khan und Attila waren und droht Deutschland mit militärischer Vergeltung. Verteidigungsminister Graziano Rocchigiani versetzt die Bundeswehr in Alarmbereitschaft und droht: »Der kriegt in die Fresse!« Zudem behaupten die Amerikaner, irgendwo existierten Beweise, laut derer es Verbindungen zwischen Al Kaida und dem deutschen Innenminister Kaya Yanar geben könnte. Yanar tritt schmollend ab (»Was guckt Ihr«). Justizministerin Salesch vergleicht Bush mit dessen Vater, was in der USA jedoch fälschlicherweise als Kompliment verstanden wird. Die Krise ist beendet.

September 2006. Deutschland wählt. Die TV-Duelle zwischen Kanzler Schröder, dem CDU-Kandidaten Thomas Gottschalk und dem Kanzleranwärter der FDP, Jürgen W. Möllemann, der 98 Prozent erreichen will, sind dermaßen erfolgreich, dass beschlossen wird, die Bundestagswahl passend zur Mediendemokratie nun als Fernsehabstimmung mit 0190-Nummern (1,56 Euro pro Stimme) abzuhalten. Aufgrund Leitungsstörungen in dem großflächig überschwemmten Land wird eine usbekische Nackttänzerin von Neun live zur neuen Kanzlerin. Als sich herausstellt, dass es sich um die verkleidete Jenny Elvers handelt, sind alle erleichtert.