08.10.13

Magdi Aboul-Kheir

Der Frauenflüsterer von Mondbasis Alpha 1

Dass die Sache mit dem anderen Geschlecht nicht einfach werden würde, wusste ich schon mit elf, als ich feststellte, dass man mit Mädchen nicht über die Fernsehserie »Mondbasis Alpha 1« reden konnte.

Es war am Sonntag, den 15. Oktober 1978, das ZDF hatte am frühen Abend die Ausstrahlung der »Mondbasis Alpha1«-Folge »Zorans Schicksal« wegen der bayerischen Landtagswahlen einfach abgebrochen, und für mich war das am Montag, den 16. Oktober 1978, auf dem Pausenhof ein großes Thema. Eine Unverschämtheit. Ein Skandal. Allerdings nur für mich und Bernhard Brunner, genannt Brunze, meinen zappeligen Klassenkameraden mit den Schweißfüßen. Die süße Katrin und die noch süßere Katja hingegen sahen mich an, als käme ich vom Mond. Oder noch eher: Sie fanden, ich gehörte dorthin geschossen.

Ich erfuhr also: Mit Science Fiction würde der nähere Kontakt zum anderen Geschlecht ein Zukunftstraum bleiben. Später lernte ich, auch mit Western, Horror- oder Actionfilmen brauchte man den meisten Mädchen und Frauen nicht zu kommen. Sehr plastisch erinnere ich mich noch an die lebhafte Kinodiskussion auf einer Party mit 16 oder 17 Jahren, während der Brunze Brunner im tiefsten schwäbischen Brustston der Überzeugung von sich gab: »D'r beschde Schauschbielr isch doch d'r Schdalluhn!« Katrin, Katja und die anderen Mädchen sahen ihn derart angewidert an, als hätten sie an seinen Schweißfüßen lutschen sollen. Der Trottel! Ich meinte dann allerdings, mit »Ich find, der Schwarzenegger macht bessere Filme« landen zu können, woran man erkennt, dass ich die Lektion damals noch nicht verinnerlicht hatte. Immerhin fing ich nicht auch noch mit Chuck Norris, Dolph Lundgren oder Van Damme an.

Später lernte ich sogar mal eine Frau kennen, die Van-Damme-Filme mochte, aber das nur, weil sie Karate betrieb, was ich wiederum spürte, als ich sie zu einem unpassenden Zeitpunkt zu küssen versuchte.

Ich wurde Cineast. Natürlich ging ich gern mit Frauen ins Kino, aber oft war es so: Es gab welche, mit denen ich den Filmgeschmack teilte, aber mit denen wollte ich nicht intim werden. Und es gab Frauen, mit denen ich ins Bett wollte, aber nicht ins Kino. Das war mir zu dialektisch und ich sprach mit Brunze darüber, der aber seinerseits an einer Theorie über Film und Sex arbeitete. Er hatte herausgefunden, dass sich Kino und Bett ähnlicher sind, als man denkt: »Zuvor gibt es Getränke und Werbung, danach spielt sich vieles im Dunkeln ab, es wird manchmal gute Unterhaltung geboten, zuweilen auch Horror. Und im Sexualleben gibt es wie im Kino Fortsetzungen, Remakes und Retrospektiven, es gibt Hits und Flops, es gibt Fehlbesetzungen, Regiefehler, schlechte Ausstattung und nicht immer ein Happy End.« Habe ich schon angemerkt, dass Bernhard Brunze Brunner es mit den Frauen noch schwerer hatte als ich?

Einfach und zielführend ist es, mit Frauen in Romantic Comedys oder tragische Epen wie »Titanic« zu gehen. Allerdings muss man darauf achten, dass man gute Plätze hat. Als ich »Titanic« sah, saßen meine Begleiterin und ich vorn in der zweiten Reihe und dann auch noch ganz rechts außen. Ich verrenkte mir den Hals und moserte: »Ich seh das blöde Schiff nur zur Hälfte!« – »Natürlich, darum geht es doch, du Idiot.«

Im Film würde nun eine Montage kommen, in der die Jahre vergehen.

Ich lernte eine Frau kennen, die einen erfreulich breiten Filmgeschmack aufwies. Unser erster gemeinsamer Kinobesuch war freilich »Der Pferdeflüsterer«. Wir fanden ihn beide entsetzlich, heirateten aber trotzdem, auch wenn sie behauptete, ich hätte die Redford-Schmonzette vorgeschlagen.

Noch eine Montage, weitere Jahre vergehen.

Kürzlich schlenderte ich durch den Media Markt und stand plötzlich vor einer Wühlkiste mit der Aufschrift »Was Frauen schauen«. Darunter prangte noch eine Erläuterung: »Filme für Frauen, verschiedene Titel, z. B. Sex and the City, ab 6.99«. Auch »Der Pferdeflüsterer« lag dabei, natürlich! Ich suchte ein bisschen in der Kiste rum – und traute meinen Augen nicht. Ich hielt eine Dreier-DVD-Box in den Händen: »Lundgren. Norris. Van Damme«. Mit drei, nun ja, Schrottfilmen. Ob sich da ein Scherzkeks einen Jux erlaubt hatte? Und war heute tatsächlich alles auf DVD erhältlich?

So kam mir ein Gedanke. Ich ging zum DVD-Regal mit Fernsehserien und tatsächlich, dort stand »Mondbasis Alpha 1«. Ich griff mir gleich zwei Exemplare. Eine Box legte ich in die Wühlkiste »Was Frauen schauen«, als erzieherische Maßnahme. Die andere kaufte ich.

Mit fast 35 Jahren Verspätung würde ich endlich die letzten fünf Minuten von »Zorans Schicksal« miterleben. Es würde ein Fest werden. Ein Triumph. Meine Frau weigerte sich, mir Gesellschaft zu leisten, aber das war mir egal.

»Zorans Schicksal« war allerdings großer Schwachsinn, das Ende besonders idiotisch. Trotzdem oder gerade deswegen wollte ich gern mit jemandem darüber reden. Nein, gewiss nicht mit der süßen Katrin oder der noch süßeren Katja – zu denen hatte ich schon seit Teenagerzeiten keinen Kontakt mehr. Ich fand allerdings die Nummer von Brunze Brunner. Ich rief ihn an, erzählte von »Mondbasis Alpha 1« und meiner tiefen Enttäuschung. »Ich weiß«, sagte er, »ich habe die DVD.«