10.01.05

Magdi Aboul-Kheir

Wie ich Frau A. aus U. mit einem Wort in den Suff trieb

Das habe ich nicht gewollt. Schuld ist meine Kolumne »No Sex, no drugs, nur Rolf Zuckowski« – sie geriet einer Leserin zum Verhängnis. Frau A. aus U. hat mir geschrieben, nicht um mich ob etwaiger Obszönitäten zu rügen oder mir vielleicht ein wenig tröstenden Sex anzubieten, sondern um ihr aus der Bahn geworfenes Leben vor mir auszubreiten. Es geht um ein einziges Wort. »Seit diesem Wort lebe ich gesünder«, lässt mich Frau A. aus U. wissen, das klingt eigentlich positiv, und weiter: »Ich schlafe mehr.«

Darüber habe ich mich gefreut – doch nur kurz. Denn es kommt schlimm, wegen dieses einen Wörtchens. Es handelt sich um die harmlose Vokabel »Resteficken«, ein bescheidenes Verb, ein argloses Tunwort, das niemand etwas tun sollte. Doch wurde es zu meiner Tatwaffe.

Sie sei eine Frohnatur, ein Partymensch, schreibt Frau A. aus U. Doch seit sie durch meine Kolumne »die wahren Beweggründe der lang auf Parties ausharrenden Gäste« kenne, sehe sie ihre Umwelt mit völlig anderen Augen. »Was früher der nette Bandkumpel, der besoffene Regisseur oder der charmante Verwandte zweiten Grades war, mit dem man bis in die Morgenstunden feiern kann, ist jetzt nur noch eins: perma-not-natur-geiler potentieller Resteficker.« Daher gehe sie jetzt stets früher heim. Denn: »Ich will nicht der Rest sein.«

So weit ist die Geschichte noch nicht belastend. Doch nun wird es schrecklich. »Ich schaffe das, indem ich schneller trinke«, schreibt Frau A. aus U. »Neulich schaffte ich im Kulturzentrum fünf Bier in nur zwei Stunden, und wurde bereits um halb zwei heimgetragen. Auf meiner Premierenparty waren es einige Prosecci, mit dem Resultat, dass ich bereits um 0.30 Uhr in einem Requisitenkorb schlief.« Und die Arme, sie weiß nicht, die rechten Schlüsse daraus zu ziehen: »Komischerweise habe ich, seit ich mehr schlafe, mehr Kopfweh. Aber das liegt wohl am Wetter.«

Aber ich weiß, was es bedeutet. In den Suff habe ich sie getrieben. Ich sehe es vor mir, die Boulevardpresse wird es ausschlachten: »Obszönitäten im Netz ruinierten ihr Leben«, dazu ein Nacktfoto, »lesen Sie weiter auf Seite 3«.

Liebe Frau A. aus U., der Rest an sich ist nichts Schlimmes. Er ist nicht gleichbedeutend mit »das Letzte«. So schlimm, wie in England, wo es sogar »rest rooms« gibt, ist es hier noch lange nicht. Der Rest, ach – am Restekochen erkennt man die wahre kreative Könnerschaft eines Kochs, auf Reste gibt's Prozente, und man soll doch die Reste feiern, wie sie fallen. Und am Ende heißt es »Rest in peace«.

Ich träume. Ich bin auf einer Party, atemberaubend schöne Menschen, lavaheiße Musik, schwül-triebhafte Stimmung. Überall wird geflirtet und gefummelt, immer wieder streben Pärchen händchenhaltend Richtung Ausgang, immer wieder verschwinden Pärchen, auch Trios und Septette, knutschend in den Separées. Hektik macht sich breit, Hochbetrieb an der Bar, die Leute schütten alles in sich herein, maßlos, hemmungslos, es wird gesoffen wie in einem All-Inclusive-Hotel voller sibirischer Kampftrinker. Bereits gegen Mitternacht kann fast niemand mehr stehen. Am Tresen sitzen zwei sturzbesoffene Blondinen und stoßen an: »Hauptsache, wir gehören nicht zum Rest.« Dann fallen sie von ihren Hochstühlen. Überall stapeln sich weinselig lächelnde Schlafende und schnarchende Schnapsopfer. Eine Bierleiche rappelt sich kurz auf – es ist mein gehasster Deutschlehrer aus der zehnten Klasse. Er rülpst und sagt: »Wähle Deine Wort stets mit Bedacht.« Dann bricht er und bricht zusammen. Eine vor zwei Stunden noch umwerfend attraktiv aussehende, jetzt zerstört wirkende Frau hält sich als Letzte auf den Beinen, torkelt auf mich zu, sinkt in sich zusammen, windet sich mir zu Füßen und lallt: »Wir sind alle Deine Leser.«

Das gibt mir den Rest.