10.03.11

Magdi Aboul-Kheir

Ich dachte, sie suchte einen Mann, doch sie wollte nur einen Schnitzelbrater

Liebe geht durch den Magen, gelegentlich entsteht durch den Magen auch Liebe. Schon immer habe ich meine Freunde gern bekocht, darunter auch weiblichen Besuch. Eine heiße Orangenkaramelsauce zum Dessert bringt eben viele zum Dahinschmelzen, und wenn nicht, dann schmilzt zumindest die Eiscreme hinreißend.

Auch diejenige Grazie, mit der ich heute verheiratet bin, gaumenkitzelte ich einst mit Vielfalt, Kreativität und Raffinement. Gebratener Ziegenkäse unter Sesamhülle zu selbstgemachter Paprikamarmelade als Vorspeise. Danach Roastbeef in Senf-Honig-Kruste, dazu Kartoffelgratin. Schließlich Eis und Obst mit besagter Orangenkaramelsauce ... Sie lächelte, aß auf und heiratete mich, auch wenn das jetzt etwas verkürzt erscheint.

Natürlich lassen Beziehungsalltag und die damit verbundene Routine nicht nur, aber auch die Sesamhülle zusammenkrümeln und die Senf-Honig-Kruste eintrocknen. Und so war unser kulinarischer Alltag ebenso wie in vielen anderen Familien schließlich geprägt von immer noch halbwegs leckeren, aber doch eher unoriginellen Pasta-Gerichten (spricht: Nudeln mit Tomatensoße oder Nudeln mit Hackfleischsoße) und dem Anruf beim Pizza-Service.

Wenn sich Freunde ansagten, erwachte in mir aber regelmäßig der ambitionierte Hobbykoch.
»Am Wochenende kommt Sabine aus München«, kündigte etwa meine Frau an.
»Was sollen wir essen?«, fragte ich – bereit, mich an Herd und Ofen ins Zeug zu legen.
»Die liebt Schnitzel«, sagte meine Frau. Und so klopfte, panierte und briet ich, dass es eine Freude war. Sabine freute sich zumindest. Und auch meine Frau biss beherzt in ihre Schnitzel.

Einige Wochen später kündigten sich Wolfgang und Anna, sehr nette Ex-Kommilitonen meiner Frau, an.
»Fragst du sie, was sie sich zum Essen wünschen?«, beauftragte ich, ganz der aufmerksame Gastgeber, meine Gattin.
»Okay«, antwortete meine Frau, und am Tag drauf erfuhr ich: »Die essen gern Schnitzel.«

Und als sich die Schwiegereltern anmeldeten?
»Die würden sich über Schnitzel freuen.«
»Aber die sind drei Tage da.«
»Ach, kauf ruhig mehr Schnitzel.«

So gingen die Jahre ins Land, die Freunde meiner Frau wurden auch meine Freunde, und alle hatten den gleichen Geschmack. Vielleicht hätte ich misstrauisch werden sollen, als meine Frau mir zu Weihnachten den Rezeptband »Schnitzel. Variationen eines Klassikers« schenkte. Aber ich horchte erst auf, als uns Sabine aus München zum dritten Mal besuchte und lachend zu mir in die Küche kam: »Ihr esst aber gern Schnitzel.«
»Hä?«, stutzte ich, die Hände in der Panade.
»Na, jedesmal, wenn ich euch besuche, gibt's Schnitzel!«
»Ja, logisch, du wünscht es dir doch immer.«
»Bitte? Ich bin noch nie gefragt worden!«

So kam die Wahrheit ans Licht. Ja, sie wollte nur das eine. Sie war geradezu verrückt danach: Schnitzel. Meine Frau instrumentalisierte ihre Freunde und Bekannten dazu, um mich regelmäßig an der Pfanne zu wissen. Im Alltag traute sie sich nicht, diesen Wunsch zu äußern, weil sie befürchtete, Schnitzel sei mir als Möchtegern-Witzigmann zu profan und zu eintönig. Überhaupt: »Ich mag gar keinen gebratenen Ziegenkäse«, gestand sie, »und auch keine Paprikamarmelade.«

Seitdem essen wir fast jedes Wochenende Schnitzel.
»Warum kann Papa nicht mal etwas anderes kochen?«, fragen unsere Töchter heute.
»Lasst ihn doch«, sagt dann meine Frau, »wenn es ihm doch so Spaß macht.« Und das ist noch nicht einmal gelogen.

Manche unserer alten Freunde besuchen uns noch immer regelmäßig. Aber nur die, die wirklich gern Schnitzel essen.