10.04.05

Magdi Aboul-Kheir

Politische Meditation in der Enddarmpraxis

Da tapert er vor sich hin, der gebrechliche alte Mann, setzt zitternd einen Fuß vor den anderen, stützt sich dabei auf einen jungen Mann; vielleicht ist es ein Zivi, vielleicht sein Enkel oder gar Urenkel. Mühsam spaziert das Duo vom Altenheim in den wunderbar frühlingshaft frisch ergrünten Park, den so genannten Alten Friedhof. Die beiden nähern sich den jüdischen Gräbern aus dem späten 19. Jahrhundert. »Da, da«, ereifert sich der alte Mann, krächzend, einen mahnenden Zeigefinger ausfahrend, »da, schau Dir das an, die Juden wieder, die haben hier die schönsten Grabsteine.«

Natürlich ein Einzelfall. Dass so etwas nur ein Einzelfall sein kann, das hören wir ja jeden Tag. Genauso wie der Mann in den bunten Karohemden, der seinem Hund beigebracht hat, im Alten Friedhof an die jüdischen Grabsteine zu kacken. Noch ein Einzelfall.

Angesichts des braunen Drecks, den er in seiner Jugend abbekommen habe, schrieb Maxim Biller vor Jahren im SZ-Magazin zur Pauluskirchen-Debatte sinngemäß über Martin Walser, müsse man sich nicht wundern, wenn der ganze Scheiß nun im Alter wieder aus ihm rausquelle. Das ist nicht nett. Aber ist es unbedingt falsch?

Doch was ist das für eine profane psychoanalytische Kausalität, die so gern zwischen Exkrementen und Extremismus, bevorzugt braunem, hergestellt wird? Ein Gedanke, dem sich nachzugehen lohnt, vor allem wenn man nichts Besseres zu tun hat, zum Beispiel beim Arzt.

In der Enddarmpraxis. Gedrückte Gestalten im Wartezimmer. Als einzige Lektüre zwischen uralten Reisemagazinen die »Junge Freiheit«, ein tüchtig bräunliches Wochenblatt, das Hohmann zu rehabilitieren versucht und in dem Hochhuth sich vergaloppiert hat, das gern den Zahlmeister Deutschland betrauert und das rassistischen, antisemitischen und sonstigen Ressentiments nicht abgeneigt ist. Kein Geo, keine Bunte, keine Echo der Frau, noch nicht einmal Focus. Nur die »Junge Freiheit«. Bei der Lektüre würde man unwillkürzlich stramm stehen, wenn man nicht im Wartestuhl säße. Wobei einige gar nicht sitzen, je nach Enddarmleiden.

Der Arzt, ein hagerer, wortkarger, eher unwirscher Coloproktologe mit grauem Kurzhaarschnitt, nimmt an seinen Patienten kaum etwas außer ihrem Ausgang wahr. Er bellt in Unteroffizierdiktion ein paar Befehle Richtung Sprechstundenhilfe. Wieder tauchen Gedanken an die Analität der Nazis auf. Ist doch eigentlich lächerlich, sollte jemand, der sich bevorzugt mit menschlichen Ausscheidungsorganen beschäftigt, politisch nur mit dem Bodensatz verkehren können? War er erst Nazi und dann Enddarmspezialist oder umgekehrt? Oder ist er sukzessive so geworden, wobei sukzessive sein Lieblingswort sein könnte, schließlich schreibt man es mit »kz« und »ss«.

Das ist natürlich nicht lustig. Aber das Leben hat bekanntlich seinen ganz eigenen Humor. Zuhause notiere ich den nächsten Arzttermin. »Wer ist Dr. Mengele?«, fragt meine Frau nach einem Blick auf den Kalender, den Spitznamen für den Arzt offenbar nicht goutierend. Jedoch: Der nächste Enddarmuntersuchungstermin ist am 20. April.