11.06.03

Magdi Aboul-Kheir

Mann in stehender Positur, die Scholle wässernd

Der Mensch als solcher ist nicht nur sprichwörtlich ein Gewohnheitstier. Jahrmillionen empfand er es als durchaus ausreichend, ja angemessen, auf Bäumen zu leben. Rinde fressen, sich einen Ast lachen, ab und zu runterpinkeln – feine Sache, das. Irgendwann hatte die Evolution, wahrscheinlich durch unzulässige Lockangebote, uns dann doch auf den Boden der Tatsachen herunterzogen. Anschließend gingen nochmals hunderttausende Jahre ins Land, um uns einen aufrechten Gang angedeihen zu lassen.

Fast genauso lange dauerte es, aus Männern Sitzpinkler zu formen. Generation für Generation stellte sich mannhaft vor die Höhle/hinter den Busch/an den Keramik-Topf und schwenkte stolz und stur, strahlend und spritzig, den Schlauch. Weibliche Schelte, auf den Knien gesammelte WG-Erfahrung und stetige Schläge auf den Hinterkopf ließen das klassische Bildnis »Mann in stehender Positur, die Scholle wässernd« erst unserer Tage verblassen.

Was für ein Anblick aber auch: Leicht breitbeinig im sicheren Stande, rasch auspackend, entschlossen zupackend, sich aufatmend bis stöhnend erleichternd, dabei das Revier markierend, gern beim Schütteln und Einsortiern bis in die Waden wippend, dann triumphierend von dannen schreitend, bevorzugt auch ohne die Hände zu waschen.

Immerhin, im Lauf der Welt ist das Manneken-Pis dann doch zum sesshaften Wesen mutiert. Doch nun droht urplötzlich der Untergang des gesitteten Sitzens, das Stehen erlebt seine Wiederauferstehung. Ausgebrütet von einer Horde irrsinniger Innenarchitekten und subversiver Sanitärspezialisten, droht das Ergebnis unnachgiebiger Umerziehung quasi auf einen Schlag hinuntergespült zu werden: Das Urinal ist angesagt, feiert im privaten Raum feucht-fröhliche Urständ. Der Hausherr von heute und von Welt, er schraubt sich zumindest im Gästeklo eine Stehschüssel an die Wand.

Darauf haben in die Demutsurinierhaltung niedergerungene Männer nur gewartet. Ihr Stehpinkler-Gen schlägt wieder voll durch. Das Urinal tritt aus seiner Verbannung, aus seinem übelriechenden Kloakenleben in Bahnhofstoiletten, Kaschemmen und Kasernen, ins Licht bürgerlicher Badezimmer. Es darf wieder geprasselt und geplöddert werden, geschifft und gestrullt, gespritzt, gesprenkelt und getröpfelt. Es regnet, Herr Kachelmann! Und im Hintergrund singt triumphierend der Chor der Gelbmeerflotte: Das ganze Leben ist ein Piss.

Das Comebacks des Urinals, es wird noch nicht einmal als notdürftige Notwendigkeit der Retro-Ideologie begangen. Als zeitgemäß und zweckmäßig wird es beworben, als modern, platzsparend und sauber. Als sauber – was für ein Nullnull-Gewäsch! Garantiert täglich wechselnde Fliesenmuster, die sind gewiss, da wendet sich ja selbst der Wischmob mit Grausen ab.

Doch der Kunde wird bereits bearbeitet und hat alsbald einen Sprung in der Schüssel. Das Urinal-Angebot reicht vom schlichten Standard-Modell »Milano« zu 59,90 bis zum formvollendeten, edel geschwungenen High-End-Becken aus der »Wohlfühl-Hygiene«-Designerserie. Warum montieren sich die Urinal-Fans nicht gleich noch die Luxus-Latrine »Güldenes Loch« mitten ins Schlafzimmer?

Am besten, wir klettern auch wieder auf die Bäume. Und wenn unten ein Sanitärinstallateur vorbeiläuft, pissen wir runter.