12.01.02

Magdi Aboul-Kheir

Bildungsprogramm plus: Im TV sehen kannst Du Deine Top Ten

Wer im Internet die Homepage von Viva 2 sucht, liest folgendes: »Der Zielrechner oder das Zielnetzwerk könnten deaktiviert sein.« Das ist bedauerlich.

Wer im Fernseher das Programm von Viva 2 sucht, wird mit Viva plus konfrontiert. Das ist fatal.

Von RTL als eitriges Anhängsel samt Schuddelimage abgelegt, hat das »plus« bei Viva eine neue Heimat gefunden. Viva 2, Sender alternativer, härterer, ambitionierterer Musik und eines eigenwilligen, oft streitbaren, zuweilen auch erfrischenden Musikjournalismus', ist totgeschlagen worden. Er hat nämlich etwas getan, was man nicht tut. Er hat Verluste eingefahren.

Als Ersatz bekommen wir das »CNN des Musik-TV«, wie vollmundig, aber leerhirnig angekündigt wird. »Reportagen aus den Popmetropolen der Welt« drohen uns, und vor allem mehr Chart-Musik. Die Alternative-Klänge blieben erhalten, sagt Viva-Papa Dieter Gorny, vor allem nachts. Wenn sie keine Verluste einfahren.

Somit marschieren nun auch die TV-Musiksender wie 95 Prozent der Radiosender im Gleichschritt, präsentierten Gleichklang. Umschalten wird zum Zappen zwischen Zwillingsangeboten, wird überflüssig. Der Markt bereinigt sich, der Geschmackmainstream darf sich weiter ausfläzen.

Doch immerhin, immerhin, formal wartet Viva plus gleich mit einer Novität auf, dass es uns die Augen verdreht. Denn dieser Sender ist laut Eigenwerbung auf www.vivaplus.tv »mehr als TV und zeigt mehr, als auf einen Bildschirm passt«. Zu diesem Zweck schieben sich am unteren Rand des Schirms zwei Schriftbänder durchs Bild, unterschiedlich schnell. Am unteren Rand? Die Bänder nehmen fast ein Fünftel der Fläche ein. Ein Teil des Bildes fehlt so ganz einfach, aber wer interessiert sich schon für Füße von Rockstars? Die Clips plus werden eben flacher, wie passend: Flachsender. Liefen die Spruchbänder wenigstens in verschiedene Richtung, wären Viva plus-Seher am Schielen zu erkennen: als Corporate Design der TV-User.

Der Infogehalt der Infobänder plus: Konzerttermine, Charts, Ratings, »News-Feeds«. Vor allem aber SMS-Nachrichten von Menschen namens Karli, Teddy, Bobele. Kleine Auswahl: »Grüße an alle Langenhagener und Wedemarker«, »Grüße an alle süßen Boys dieser Welt«, »Treffen wir uns in der Besenkammer?«, »Zauberkeks, ich liebe Dich.«

Vielleicht hat das was mit den »Reportagen aus den Popmetropolen dieser Welt« zu tun. Mit Viva plus ist man nämlich »näher am globalen Glamour« dran. Also deswegen »Grüße an alle Langenhagener und Wedemarker«.

Oder es handelt sich um das »völlig neue interaktive Konzept«? Also deswegen: »Grüße an alle süßen Boys dieser Welt«.

Oder ist es das von Gorny besungene »Experimentierlabor«? Also deswegen: »Treffen wir uns in der Besenkammer?«

Oder geht es, wie Gorny sagt, um die Medien als »Emotionsvermittler«? Also deswegen: »Zauberkeks, ich liebe Dich«.

Besonders eindrucksvoll sind erhellende News plus der Sorte: »Im TV sehen kannst Du Deine Top Ten Montag bis Freitag ab 12 Uhr.« Die Wortstellung plus nicht stimmt vielleicht? Klingt Satz wie Sprache von Meister Yoda aus Star Wars: »Die Macht mit dir ist, junger Skywalker. Im TV sehen kannst Du Deine Top Ten Montag bis Freitag ab 12 Uhr.«

Der Untergang abendländischer Kultur ist das alles nicht, die anvisierte Zielgruppe plus wird wohl gut bedient. Nur der frühere Viva 2-Seher ist verprellt. Leider marktrelevant plus der nicht war. Verdammt, Einfluss von Viva plus auf meine Sprache ich spüre. Anhören ich lieber tue, Fernsehen plus schauen ich muss plus. Im TV sehen kann ich meine Top Ten Montag bis Freitag ab 12 Uhr. Plus und schluss.