13.11.06

Magdi Aboul-Kheir

Bonn liegt in Niederbayern. Oder
Was heißt Vollidiot auf Französisch?

Wenn das Töchterchen in der kleinen, dicht gefüllten Bäckerei sagt: »Heilige Scheiße, ist hier voll«; und spätestens wenn die noch kleinere Schwester nach einer Schimpfkanonade meiner Frau zu einer immerhin selbst improvisierten Melodie das Liedlein »Fick Fack« zum besten gibt, ja dann wird einem klar, dass man der vor den Kindern gepflegten Wortwahl mehr Beachtung schenken sollte. Denn was nur für den Gebrauch in den eigenen vier Wänden gedacht ist, wird vom Nachwuchslautsprecher ohne böse Absicht, allerdings auch ohne jegliche verbale Sensibilität in alle Welt hinausposaunt. Was die Erziehenden nicht selten in ungünstiges Licht rückt. Vorsicht und Zurückhaltung sind folglich angesagt.

Da es durchschnittlichen Eltern wie uns kaum gelingen wird, alltägliche familiäre Unterhaltungen ohne deftige Ausdrücke, Lästereien, negative Urteile über gerade Abwesende und Bosartigkeiten aller Art zu führen, entwickeln viele von ihnen kommunikative Codes. Man könnte auch agen: Sie greifen zu billigen Tricks. Einige Eltern verwenden schlicht Abkürzungen: »Kowaltzke aus dem Dachgeschoss ist ein Riesen-A.« Wobei dieser Satz, von Kindern in der Öffentlichkeit zitiert, dennoch ziemlich eindeutig klingt. Andere gewöhnen sich daher eine Zeichensprache an, was aber zum einen albern, zum anderen missverständlich ist, wenn »Tante Trude hat sie nicht mehr alle« am Frühstückstisch in Wirklichkeit auch »Gib mir mal die Butter« bedeuten könnte.

Wiederum andere Eltern lügen einfach. Das allerdings will gekonnt sein, und die Konsequenzen wollen getragen werden. Als ich noch ziemlich klein war, bewarb sich mein Vater, damals an einer Pfälzer Klinik angestellt, auf eine Stelle im fernen Niederbayern. Da an seinem Arbeitsplatz niemand wissen sollte, dass er eventuell an ein anderes Krankenhaus wechseln und sich verbessern wollte, mein Vater aber getrost davon ausgehen konnte, dass ich, sein kleiner Liebling, jedem auf der Straße und vor allem seinem Vorgesetzten, der dummerweise im gleichen Haus wie wir wohnte, von der anstehenden Fahrt nach Niederbayern und den Plänen erzählen würde, entschieden sich meine Eltern dafür, mir zu erzählen, dass wir nach Bonn ins ägyptische Konsulat fuhren. Nicht, dass ich wusste, was ein Konsulat war, aber es klang aus meinem Mund weniger bedrohlich als Krankenhaus. Der Plan ging auf, wir reisten ins beschauliche Griesbach nahe Passau, ich wähnte mich in Bonn und erzählte nach unserer Rückkehr von der Bundeshauptstadt, einem hübschen Dorf in hügeliger Landschaft. Die Pointe? Mein Vater bekam die Stelle, wir zogen nach Bayern, und als wir dort ankamen und meine Eltern mir nun erzählen wollten, jetzt seien wir in unserem neuen Zuhause in Griesbach angekommen, wurde ich zornig und versteifte mich darauf, und das noch wochenlang, in Bonn zu leben.

Primitives Lügen funktioniert also nicht wirklich gut. Aber was dann? Eine populäre Methode besteht darin, angesichts kritischer Themen in Fremdsprachen auszuweichen. Englisch verstehen die Kinder heute leider ziemlich früh, zumal dank HipHop besonders die deftigen Ausdrücke. Also Französisch. Leider ist mein Französisch ziemlich eingerostet. Je parle äh non.

Meine Frau hat sich daher für die erste Alternative entschieden: Personennamen in heiklen Zusammenhängen abzukürzen.
»W.E. hat heute wieder auf dem Spielplatz aus dem Mund gestunken«, sagt sie etwa.
»Wer hat gestunken?«, fragt Dana.
»Wer gestunken?«, fragt Ida.
»Ja, wer hat gestunken?«, frage ich.
»W.E., die Mutter von A. und C.«, erläutert meine Frau.
»Du meinst, die Mutter von A. und K.«, will ich wissen.
»Nein, von C!«
»Schreibt man den Klaus mit C?«, frage ich.
Meine Frau schaut zornig – mit z – drein.
»Klaus' Mama stinkt aus dem Mund«, schlussfolgert Dana, für die die Information eigentlich nicht gedacht war.
»Klaus' Mama stinkt«, sagt auch Ida und singt zum Ausgleich ein wenig den aktuellen Sommerhit »Fick Fack«. Wir lernen: Man muss die Abkürzungs-Technik konzentriert und vorsichtig anwenden.

Zudem muss man sich vor Missverständnissen hüten.
»P.E. ist ein Vollidiot«, sage ich eines Tages über einen Bekannten und erzähle meiner Gattin von einer kleinen Auseinandersetzung.
»Passt gar nicht zu ihm«, widerspricht meine Frau, »er ist doch immer freundlich, zuvorkommend und fair.«
»P.E.?«
»Äh, ja.«
Die Kinder werden wieder neugierig, vielleicht sogar mehr, als wenn wir ohne Abkürzungen, dafür flüssiger miteinander kommunizieren würden.
»P.E. ist ein Depp«, beharre ich.
Meine Frau gibt die Vorsichtsmaßnahmen auf: »Seit wann redest Du so über Deinen Chef?«
»Mein Chef? Ach so, stimmt, der heißt auch P.E.! Nein, ich habe den anderen P.E. gemeint, der ist die Arschnase.«
Meine Kinder haben nun natürlich etwas aufgeschnappt, leider das Falsche.
»Papas Chef ist eine Arschnase«, sagt Dana.
»Papa Chef Arsch«, sagt Ida. »Fick Fack.«

»Ich kann es nicht mehr ertragen, wenn die Leute über A.H. herziehen«, sagt meine Frau ein andermal.
Ich rätsele wieder einmal. A.H., A.H.? »Hitler?«, frage ich erstaunt.
»Ich glaube, wir sollten das mit den Abkürzungen wieder lassen«, sagt meine Frau. »M.A.K. ist ein Schwachkopf.«
»Wer?«
»Du!«

So geht es also auch nicht. Man könnte natürlich auch einfach nett, zurückhaltend und ehrlich sein, am besten immer nur Gutes über seine Mitmenschen sagen. Oder man fährt nach Bonn, was in Niederbayern liegt. Aber ich glaube, ich frische am besten mein Französisch auf.

Diese Kolumne finden Sie auch in Magdi Aboul-Kheirs Buch »Papa fertig!« – zusammen mit einer großen Auswahl der beliebtesten Kolumnen (in neuen, teils stark erweiterten Fassungen), aber auch etlichen neuen Texten.