Diese Kolumne lässt sich auch hören!

»No sex, no drugs, nur Rolf Zuckowski« vorgetragen von Sebastian Marquardt
(Bitte beachten Sie unseren Rechtevorbehalt).

14.09.04

Magdi Aboul-Kheir

No sex, no drugs, nur Rolf Zuckowski

Sex, steht auf dem Kalender. Für den Dienstagabend ist da auf der großen Familien-Terminübersicht, die in unserer Küche hängt, kugelschreiberblau auf weiß eingetragen: Sex.

»Was soll das?«, will ich von meiner Frau wissen. »Damit wir es nicht wieder vergessen«, sagt sie. »Was?«, frage ich verwirrt. »Na, dass wir »Sex and the City« anschauen.«

Ich bin beruhigt. Aber nicht lange. »Was sollen nur die Leute denken?«, frage ich meine Frau. »Ist doch egal, wer liest schon unseren Küchenkalender?«, meint sie nur. »Zum Beispiel der neugierige Heizungsableser«, beharre ich, »der denkt dann, wir haben Sex.« »Du spinnst«, befindet meine Frau.

Genau da liegt das Problem. Nicht beim Spinnen, sondern beim Sex. Paare mit kleinen Kinder haben nur noch selten Sex, lautet ein gängiges Vorurteil. Was aber völlig übertrieben ist, denn: Paare mit kleinen Kindern haben überwiegend gar keinen Sex. Sie wollen nur das Eine: ihre Ruhe.

Statt Sex, Drugs & Rock'n'Roll bietet uns das Leben: No Sex, no drugs, nur Rolf Zuckowski. Wenn ich von einer Studie höre, laut derer die Deutschen durchschnittlich drei Mal Sex haben, denke ich mir: Ja, könnte stimmen, drei Mal, also März, August und November. Habe ich früher bis zum Morgengrauen auf Partys ausgeharrt, der offenbar ansprechenden Möglichkeit des Restefickens wegen, beginne ich heute, wenn wir überhaupt einmal Gäste haben, bereits ab 21.30 Uhr regelmäßig und demonstrativ zu gähnen. Denn das Verhältnis von Schlaf und Beischlaf gilt es genau abzuwägen.

Nur die Welt, die spielt da nicht mit. Werbung, Zeitschriften, Fernsehen, alles ist trivialsexualisiert, pseudoerotoman, permageil. Dabei schaue ich nur noch Filme, die ab null Jahren freigegeben sind, blättere nur noch in biederen Haushaltszeitschriften. Allein, es hilft nichts. In Zeichentrickfilmen tragen hüftwackelnde Teenie-Actionheldinnen Miniröckchen, Tanga und Dominastiefel; in den Haushaltszeitschriften bekomme ich Themen wie »Gewürze – die Scharfmacher«, »kulinarische Verführungskunst« und »Sinnliche Kochfreuden« vorgesetzt. Ganz zu schweigen von meinem zugespamten E-Mail-Account, aus dem ich schließe, dass sich mehrere tausend Zeitgenossen um nichts anderes als um Funktion, Größe und Ansehen meines Geschlechtsteils sorgen.

Kein Wunder, dass ich einen handfesten erotopathologischen Verfolgungswahn entwickle. Überall Sex, es gibt kein Entkommen. Alles ist phallisch, rein-raus, schluck, Du Luder. Ich sehe Konzertplakate: »Dick Brave« tritt in der Stadt auf. Dick Brave, was für ein versautes Pseudonym! Wäre er kein Rocksänger, sondern ein mittelalterlicher Barde, würde er sich »Wackernagel« nennen? Im Fernsehen läuft ein Tennismatch. Nach dem Seitenwechsel wandert einer der weißgekleideten Sportsmänner in seiner aufreizend engen Hosen zum Aufschlag. Am unteren Bildrand – von wegen sauberer Sport, total versaut ist das – steht: »New Balls«. Wer will das wissen?!

Aber nicht nur Phantasie spielt mir Streiche, auch die Realität treibt es zu bunt. Mein Freund Dr. E., der zu Besuch ist, hat eine neue Freundin und muss uns, noch frisch und saftig verliebt, mit Anekdoten über die Wonnen des Wundfickens und Entdeckungsrammelns beglücken. Begeistert und detailfreudig erzält Dr. E., seine frühere Partnerin habe immer gemosert, sein Sperma schmecke nach Putzmittel und modrigen Pilzen, während seine neue Flamme meine, es erinnere sie an morgendliche Semmeln und frisch gemähtes Gras. Zu allem Überfluss findet Dr. E., angeblich auf der Suche nach Zahnpasta, in unserem Badezimmer-Spiegelschrank eine Packung Kondome. Haltbarkeitsdatum: vor zwei Jahren abgelaufen.

Und dann attackieren uns auch noch die lieben Nachbarn durch ihre unbeherrschten Handlungen. Aus der Wohnung über uns, eigentlich gutbürgerliches Heim eines Ehepaares Ende 50, aus der sonst nur volkstümliche Akkordeonklänge zu hören sind, müssen wir eines Nachts eindeutig Bettpfostenvibrationen und Matratzenächzen vernehmen. Selbst von unter uns, wo ein Pärchen mit Kind – mit Kind! – wohnt, dringen plötzlich stoßartige Atemgeräusche durch die angeblich nicht hellhörige Decke.

Sind alle nur noch am reiben und rammeln, am lechzen und lecken, am balgen und blasen, und das zudem noch alliterierend? Besteht der Körper nicht auch aus Hirn, sondern nur aus Löchern? Ich beschließe, die Welt mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.

Als ich in der Tiefgarage das Paar-mit-Kind von unter uns grüße, fällt mir wie zufällig eine Megavorratspackung Kondome aus der Einkaufstausche. Ich bemühe mich, verlegen zu lächeln, und murmle etwas von einem »langen Wochenende«. Als ich im Treppenhaus die Herrschaften von über uns treffe, bitte ich sie, wo ich sie jetzt doch zufällig sehe, schon mal um Verzeihung für die kommenden Tage, vielleicht wird es mal etwas lauter zugehen, es kommen Bekannte zu Besuch, die wir im Swingerclub kennengelernt haben. Schließlich gehe ich in die Videothek und leihe mit einen Stapel DVDs aus. »Lutsch-Party«, »Alte Schachteln frisch gebügelt«, »Geil auf dem Donnerbalken« (der Film war ein Versehen) und »Spritzparade Teil 1 bis 23«. Wenn ich nun ins Bett gehe, lege ich allabendlich einen Film ein, stelle ausreichend laut, öffne vorsorglich Fenster und Balkontüre. Sollen sie doch alle sehen, wie sie mit uns, die wir ohne falsche Scheu mit unser gesunden Sexualität umgehen, zurechtkommen.

Habe ich etwas vergessen? Ach ja, »Sex and the City« und der Heizungsableser. Sex, notiere ich für den kommenden Dienstag wieder im Kalender. Ich korrigiere mich und schreibe: 2 mal Sex. Schließlich läuft eine Doppelfolge.

Diese Kolumne finden Sie auch in Magdi Aboul-Kheirs Buch »Papa fertig!« – zusammen mit einer großen Auswahl der beliebtesten Kolumnen (in neuen, teils stark erweiterten Fassungen), aber auch etlichen neuen Texten.