Diese Kolumne lässt sich auch hören!

»Mein Klofreund James Brown oder
Die nackte Wahrheit über die »Sex Machine«« vorgetragen von Tom Wendt
(Bitte beachten Sie unseren Rechtevorbehalt).

15.07.05

Magdi Aboul-Kheir

Mein Klofreund James Brown oder
Die nackte Wahrheit über die »Sex Machine«

Die Blase ist voll, kein Wunder nach eineinhalb Stunden James Brown. Ich taumle in den so genannten VIP-Bereich, in dem es keine sonderlich important persons gibt, sondern nur Journalisten und ein paar Pseudo-Schickeria-Tussen, die sich an Prosecco und Garnelenspießchen gütlich tun, und halte nach den Toiletten Ausschau.

Er hat uns eingeheizt, an diesem ohnehin heißen Abend, das schmächtige Entertainment-Schwergewicht, der Godfather of Soul, Mr. Sex Machine persönlich. Von wegen Groove-Gruftie, der nur noch für Exzesse und Prozesse gut ist. Vor ein paar Wochen hat hier in Stuttgart ein gewisser Chuck Berry einen künstlerischen Offenbarungseid abgeliefert, peinlich dilettierend, völlig abgewirtschaftet, ein Abglanz früherer Tage. Dagegen James Brown, der 72-jährige Funk-Veteran: alles absoluter Hochglanz bis hin zu den Schuhspitzen der Bandmitglieder. »I feel good, I knew that I would. So good, so good, 'cause I got you.« So good, yeah.

Endlich, das Klo. Was für ein Konzert, die lebende Legende, der Musik-Mythos in voller Pracht: Show-Master Brown im knallroten Anzug mit Glitzerkragen, schwarzer Fliege, dazu der unverwüstliche Scheitel und dieses ebenso unverwüstliche Riesengebisslächeln. Brown der Einpeitscher, Einheizer, Einklatscher. Er kreischte, jubilierte, wuchtete und presste die Töne raus. Er wippte, trippelte, tänzelte herum, der Tanzbrownbär, orgelte sich auch mal einen; schließlich hat er uns einst in den »Blues Brothers« den Reverend James gemacht, Halleluja. Und schon ließ er sich den Glitter-Umhang mit der Aufschrift »Godfather of Soul« um die Schulter legen. Voll das Klischee: Vollblutmusiker und Halbweltgestalt inklusive Bodyguard mitten auf der Bühne. Voll das Klischee: Sex und Soul. Zwei Tänzerinnen geben allen, gekleidet in einem hautengen Minifummel mit dem Muster der US-Fahne, Stars-and-Straps-Cheerleader. Alles nur Show. Aber was für eine!

Hinter mir ein schwarzer Schatten. Einer von Browns Gorillas schiebt sich ins Klo. Sieht auch müde aus. Zum Abschluss kam natürlich, endlich, unvermeidlich, wild gefeiert, »Sex Machine«. Eine orgiastische 20-Minuten-Nummer, kalkulierte kollektive Ekstase, alles over the top, over-sexed. Die Tänzerinnen nun in knappsten hot pants, auf denen hinten »J B« stand, ein Buchstabe pro Backe. Alles klar, Father Brown: Diese Popos sind Papas.

»Get up, get on up. Get up, get on up«, grunze ich am Urinal vor mich hin. »Get up, get on up. Get up, get on up. Stay on the scene, like a sex machine«. Pariser Platz heißt das Open-Air-Gelände, klasse, wo passt die »Sex Machine« schon besser hin als auf einen Pariser Platz? Ich finde das Wortspiel ziemlich lustig, grinse in mich hinein, als sich ein kleiner Mann im roten Anzug und einem weißen Handtuch über den Schultern neben mich stellt. »Äh, great gig«, stammle ich. »Thanks«, sagt James Brown. »Äh, fantastic show«, sage ich und packe ein. »Thanks«, sagt er und pisst.

Ich stolpere aus den Waschräumen, die nackte Wahrheit über die einzig echte »Sex Machine« kennend. Das glaubt einem wieder keiner. Eine hübsche Frau kommt aus der Damentoilette und macht große Augen. Gewiss nicht meinetwegen – hinter mir verlässt just auch der Godfather das Klo. »Hi«, sagt sie zu ihm. »Thanks«, sagt James Brown.