16.10.04

Magdi Aboul-Kheir

Durchs wilde Pauschalistan: Bauernsalat und Sangria auf Camelot

Ach, einfach herrlich! Urlaub auf Kreta! Land und Leute! Wie unheimlich urgriechisch das hier noch zugeht! Was hat nur dieser mäkelige Michael-Müller-Reiseführer? Malia und Stalis, die Urlaubsorte im Norden der Insel, seien »ohne Authentizität und Charme«, stänkert das typisch deutsch verbissen kritische Machwerk. Stimmt doch überhaupt nicht. Hier geht es völlig authentisch und charmant hellenisch zu: Es sieht aus wie überall, wo ich bis jetzt in Griechenland war – wie auf Mykonos, Kos, Teneriffa und in Antalya. Das sich im Gegensatz zum Reiseführer erfreulich um Objektivität bemühende TUI-Infoblatt bestätigt denn auch: Es handelt sich um Orte, »in denen sich trotz gewachsenen Fremdenverkehrs noch viel von jeder kretisch-griechischen Atmosphäre bewahrt hat, die Kreta so beliebt gemacht hat«.

Überall stehen Bauwerke im typischen Mittelmeerstil: hell erleuchtete einstöckige Bungalows, jede Menge zeitloser Kunststoff und frische Neonbeleuchtung. Was meint der Reiseführer mit »verlorener Ursprünglichkeit«? Auch auf Kreta bleibt die Zeit nicht stehen, gewiss. Hauptsache, die Tradition wird nicht mit den Füßen getreten. Die TUI weiß: »Wer bei einem Bummel durch ein Dorf die Augen offenhält. wird sehen, dass sich noch viel von der alten Zeit erhalten hat.«

Die Mehrheit der Bevölkerung wohnt nun eben einmal in Hotels und lebt vom Fleischgrillen, der Motorradvermietung und dem Verkauf von Badeschwämmen. Es gibt hervorragende Supermärkte, die rund um die Uhr die gesamte inländische Produktpalette anbieten, von Heinz Baked Beans über Nutella bis hin zu Jägermeister. Erstaunlich in dem laut Reiseführer angeblich so orthodoxen Land ist – zwischen Urlaubslektüre und Tabakwaren – eine ansehnliche Sexecke mit Dildos, Handschellen und Hardcore-DVDs. Der Grieche, der ist eben ein heißblütiger Südländer!

Der Kreter, das zeigen diese landestypischen Supermärkte, verdient offenbar bestens, sonst könnte er sich nicht die Flasche Vittel für 1,20 Euro leisten und seine Kinder nicht in Pampers, die Packung für 16 Euro, stecken. Er ist gut informiert, liest täglich Bild, De Telegraaf und Sun. Überhaupt versteht er allerhand fremde Sprachen, obwohl er über kein sinnvolles eigenes Alphabet verfügt.

Der Einheimische ernährt sich »weitgehend fleischlos«, behauptet der Reiseführer. Blödsinn, überall wird gegrillt, gebraten und aufgespießt. Angeblich soll hier Salat aus Seeigel-Innereien (»Arsinosaláta«), Bratlinge aus geriebenem Kürbis (»Kolokíthoukeftédes«) und steinhartes Gerstenbrot (»Paximádi«) verzehrt werden. Alles Blödsinn, der Kreter isst authentisch griechisch, von der Pizza (»Pizza«) bis zum Cheeseburger (»Cheeseburger«), und dazu – »Yamas!«, das habe ich schon gelernt, Griechisch ist doch einfach als gedacht – einen schönen Eimer Sangria. Ja, der weiß zu feiern, der Hellene. Und die TUI informiert dazu: »Besuche in einem Gasthaus oder beim Dorfpopen können gleichermaßen informativ und interessant sein.« Vor allem, wenn man sich noch einen türkischen Kaffee bestellt; dann lernt man die Menschen richtig gut kennen.

Bei den Namen ihrer Restaurants und Bars bedienen sich die kretischen Gastwirte der Jahrtausende alten Mythologie des Landes, ein schöner Brauch: Taverne Zeus, Agamemnon-Grill, Camelot, Bar Hawaii. Von »Rummelplatz-Atmosphäre« schreibt abfällig der Reiseführer, dabei sind die Griechen doch einfach nur ein fröhlichen Völkchen. Die Bars spielen griechische Sommerhits wie den Ketchup Song, den alten Holzmichel, Ole, ole, ole und den Disco-Zorbas. »Kretische Musik ist wild und ungebändigt«, meint der dämliche Reiseführer, aber was weiß der schon.

In den Gaststätten haben die Kreter, Freunde des Amphittheaters und der klassischen Tragödie, Großbildschirme aufgestellt, damit sie immer ihren Spitzensport sehen können, etwa Spiele der ersten griechischen Liga wie Arsenal gegen United, AS Roma gegen Inter oder Alien gegen Predator. Zur Abwechslung wird in mediterranter Lebensfreude die Miss Bikini gewählt und Bingo gespielt. Zudem stellen sich die Wirte, offenbar eine alte gastliche Sitte, gern auf die Straße vor ihre Häuser, um die appetitlich abgemalten Speisen anzupreisen. Das meint die TUI wohl mit dem »unverfälschten Einblick in das tägliche Leben der Landbevölkerung«.

Sehr typisch und authentisch sind auch die zahlreichen Souvenirs, überall gibt es Kunsthandwerk zu bestaunen wie farbenfrohe Webteppiche, antike Vasen, imposante Statuen und echte Ikonen für 3 Euro. Leider lassen sich die angeklebten Preisschilder von den Heiligenbildern nicht so gut entfernen und verursachen Schäden an der kostbaren Schichtenmalerei. Konkurrenzlos sind dagegen die schönen Dolce&Gabbana-Shirts, die hier noch zum erfreulichen griechischen Originalpreis abgegeben werden. Auf jeden Fall werde ich mir ein paar Shirts, Statuen und Ikonen mit nach Hause nehmen. Und nächsten Sommer geht es garantiert wieder nach Griechenland. Zum Beispiel nach Djerba.