19.08.08

Magdi Aboul-Kheir

Gegen schlimme Augenbrauen hilft auch Nacktheit nicht

Mein Freund F. sagt gern: »Nackt sehe ich noch besser aus«. Freilich muss man sich einen solchen Spruch selbst glauben, sonst geht das gar nicht gut aus. Es schadet auch nicht, wenn man nackt tatsächlich gut aussieht.

Sehe ich nackt auch besser aus? Ist das überhaupt erstrebenswert? Es muss doch auch so gehen. Zur Verifizierung versetze ich mich in den Modus »Narzissmus«, was nicht schwer fällt, und stelle eine Liste mit meinen körperlichen Vorzügen auf. Da wären die ausgeprägte, quasi altägyptische Schädelform und diese dunklen, fast mandelförmigen Augen mit den langen Wimpern ...

Aus Versehen komme ich an den Ego-Schalter und wechsle ich in den Modus »Realismus«. Der Schädel mag harmonisch geformt sein, doch es wachsen leider nur unzureichend Haare darauf. Die Augen mögen akzeptable Form und Farbe besitzen, doch leider werden sie von dicken Brillengläsern verzerrt.

Mit der Wahrnehmung und Einschätzung der eigenen Attraktivität ist es so eine Sache. Im Prinzip ist bei fast jedem alles vorhanden. Nur nicht in der richtigen Ausführung oder an der richtigen Stelle oder in der richtigen Serienreife. Nochmals das Beispiel Haare. Sind ja bei mir durchaus existent, sogar viele. Leider vor allem auf den Schultern und den Zehen. Zum Beispiel Proportionen. Habe ich auch, jede Menge. Fragt sich nur, welche. Beine: zu kurz. Nase: zu lang. Waschbrettbauch? Klar, logisch, nur nicht zu sehen.

Wenn man erstmal anfängt, mit rücksichtsloser Ehrlichkeit eine Mängelliste zu erstellen, wird's schlimm. Egal, da muss man durch: Die Hände metzgerhaft, der Po bürzelförmig. Narben am Kinn und auf den Knien. Breite Füße. Hohlkreuz. Stiernacken. Und die Beine tendieren zum »O«.

O, die Beine. Die sind, wie gesagt, zu kurz. In einer Fachzeitschrift lese ich einen Report über den Zusammenhang von Beinlänge und Attraktivität. Polnische Verhaltensforscher legten mehr als 200 Männern und Frauen Bilder vor, auf denen Menschen mit verschieden langen Beinen zu sehen waren. Die Bilder waren am Computer bearbeitet worden, so dass die Männer und Frauen darauf gleich groß waren, obwohl sie unterschiedlich lange Beine hatten. Das ist so wie bei meiner Gattin und mir – wir sind gleich groß, aber mein Schritt ist ungefähr auf Höhe ihrer Knie. Wie auch immer: In der polnischen Studie kamen Menschen mit kurzen Beinen nicht gut an. Am attraktivsten fanden Versuchspersonen jene Männer und Frauen, die sehr lange Beine hatten. Lange Beine signalisierten Gesundheit bei einem potenziellen Partner, sagt der Wissenschaftler Boguslaw Pawlowski von der Universität Breslau. Sehr kurze Beine deuteten hingegen auf genetische Probleme oder Mangelernährung hin.

Ich suche im Internet ein Bild von Boguslaw Pawlowski. Ha! Hohe Stirn, Brillenträger. Hässlicher Bart. Soll doch die Klappe halten. Aber, immerhin, er hat normale Augenbrauen.

Die Augenbrauen sind nämlich das Übelste. Ich habe mit Martin Walser nicht nur den Geburtstag gemeinsam, sondern auch diese buschige Laune der Natur. Theo Waigel gehört auch zu uns. Wildwuchs in der oberen Gesichtshälfe. Unzumutbar, unbeherrschbar, von meiner schwarzbalkigen Brille optisch notdürftig unter Kontrolle gebracht. Manchmal schlage ich um mich, beginne Insekten zu jagen; dabei ist es wieder nur eine wildgewordene Augenbraue, die im Wind flattert. Zuweilen habe ich Ausfälle im Sichtfeld, befürchte schon das neurologisch Schlimmste – man ahnt die wahre Ursache.

Ich google nach »schlimme Augenbrauen«, habe dabei Angst auf perverse Sexpraktiken zu stoßen, werde aber auf wüst haarige Bollywood-Stars verwiesen. Und auf extreme Epilier- sowie radikale Zupftechniken. Erschreckende Essays, in denen ich Hinweise lese wie: »Ziehen Sie zu beiden Seiten der Nase jeweils eine imaginäre vertikale Linie zwischen Nasenwurzel und Auge. Hier sollte nichts stehen, sonst wirkt das Gesicht zornig.« Wenn ich das nur lese, werde ich schon zornig. Dann: »Zupfen Sie die Brauen immer in Wuchsrichtung.« Ja. was denn nun, das ist es doch, die wachsen ja überall hin. Und schließlich, als ob das alles noch nicht reicht: »Die Natur hat jedem Menschen die Brauen gegeben, die zu ihm auch passen.« Na, danke, das sage ich Walser und Waigel weiter. Und zur Krönung steht da schwarz auf weiß: »Augenbrauen lassen sich auch als optisches Ablenkungsmanöver einsetzen.« Um von der Glatze abzulenken vielleicht?

In einem Wühltisch stoße ich – merklich narzisstisch angeschlagen, wieso sollte ich sonst in einem Wühltisch nach Wahrheiten suchen – auf einen Psycho-Beauty-Ratgeber: »Warum Frauen besser aussehen als sie glauben.« Zwar bin ich keine Frau, aber ist nicht der richtige Moment, um kleinlich zu sein. Ich kämpfe mich durch Kapitel wie »Vom Entlein zum Schwan«, »Entschlüsseln Sie Ihren persönlichen Schönheitscode« und »Raus aus der Perfektionismusfalle«. Am Ende lese ich seinen Epilog (warum klingt das wie Epilieren?) mit dem Titel: »Ich bin schön«. Demnach soll ich zum Mut finden, in Zukunft selbst zu entscheiden, was ich im Namen der Schönheit mitmache und was nicht. Und es werde der Tag kommen, an dem ich meine ganz persönliche, individuelle Schönheit anerkennen kann. Ach, ich lege das Buch zur Seite – ist ja auch für Frauen, was soll ich damit?

Vielleicht kommt er ja irgendwann, der Tag, an ich meine »ganz persönliche, individuelle Schönheit anerkennen kann«. Doch bis dahin muss ich resigniert feststellen: Nein, nackt sehe ich nicht besser aus. Denn die Augenbrauen bleiben ja auch nackt dran. Aber vielleicht sollte ich sie doch mal als optisches Ablenkungsmanöver einsetzen. Bin gespannt, wie man damit von kurzen Beinen ablenkt.