19.10.06

Magdi Aboul-Kheir

Hauptsache, es ist Hühnerbrühe im Haus

Man stelle sich vor, Nordkoreas Kim Jong Il attackiert Deutschland oder eine aggressive Fußpilz-Epidemie durchzieht unsere Städte. Dann traut man sich nicht mehr vor die Haustür, sitzt traurig in der Wohnung und muss darben. Das heißt: Andere Familien müssten darben. Wir würden schlemmen.

Ich finde die Vorstellung beruhigend, dass wir mit Hilfe wohlsortierter Vorratsregale mehrere Monate in Isolation überstehen würden, und das bei anständigem bis gehobenem kulinarischem Niveau und sichergestellter Körperhygiene. Was für ein herrlicher Anblick, wenn man die Tür zur Speisekammer öffnet, und dort stehen sauber aufgereiht all die Päckchen, Flaschen und Gläser, liegen griffbereit vielerlei Tuben, Dosen und Beutel. Und von der Decke hängen die Dauerwürste.

Unsere Vorratshaltung ist freilich nur so vorbildlich, weil mir während des alltäglichen Einkaufs zuverlässig auch diejenigen Waren in den Sinn kommen, die demnächst zuhause ausgehen könnten, wo sich also ein potenzieller Engpass abzeichnet. Waren wie Instant-Hühnerbrühe, Soßenbinder und Rasierklingen. Ich schlendere also durch den Supermarkt, kaufe den üblichen Kram ein – Toastbrot, Butter, Joghurt, Chips, Schokolade – und lege dann noch, weil es mir spontan einfällt, Hühnerbrühe, Soßenbinder und Rasierklingen in den Wagen, vielleicht sogar jeweils zwei, drei Gläschen oder Päckchen, wenn ich schon mal daran denke.

Beim nächsten Großeinkauf im Einkaufscenter treffe ich unseren Nachbarn Horst, der große Mengen Majonaise, Salzstangen und Scheuermilch mitnimmt. Auch ein kluger Mann, der vorbaut. Das lässt mich gedanklich unsere Vorräte durchgehen, und so besorge ich, nachdem ich die Pflicht-Liste abgearbeitet habe, gleich noch etwas Hühnerbrühe und ein paar Rasierklingen.

Wir sind also für alles gerüstet, im Prinzip, das einzige Problemchen an der Sache ist, dass ich einige Nahrungsmittel und Haushaltsutensilien, die vielleicht nicht ganz so essentiell sind wie Brühe und Klingen, aber doch zuweilen benötigt werden, beim Einkauf vernachlässige, beziehungsweise konsequent vergesse. Kaffee, Milch und Toilettenpapier beispielsweise.

Aus böser Absicht geschieht das nicht. Ich gehe eben davon aus, dass Kaffee, Milch und Toilettenpapier quasi automatisch den Weg in unsere Wohnung finden. Das sind ja alleralltäglichste Notwendigkeiten, während man an Hühnerbrühe, Soßenbinder und Rasierklingen wirklich ganz bewusst denken muss; ebenso an Dosen mit weißen Bohnen und Glühbirnen (20, 40, 60, 80 und 100 Watt, matt und klar, rund und länglich), die sich bei uns stapeln.

»Was macht man«, fragt meine Frau nach einem Blick in die Vorratskammer, »mit acht Gläsern Hühnerbrühe?« »Hühnerbrühe«, antworte ich nach besten Wissen und Gewissen, worauf es aber nur einen verständnislosen Blick gibt.

Am nächsten Morgen, zur Frühstückszeit, trifft mich ein Blick, dem noch weniger Verständnis innewohnt. »Wir haben«, sagt meine Frau, »weder Kaffee noch Milch.« »Also, ich trinke heute morgen eine schöne Tasse Brühe«, erwidere ich, aber es klingt nicht überzeugend.

Reumütig fahre ich später in den Supermarkt, kaufe Unmengen Milch und Kaffee ein, bei der Gelegenheit, quasi für alle Fälle, auch ein paar Rasierklingen, dicke Bohnen sowie 60- und 80-Watt-Glühbirnen matt und klar. Auf Soßenbinder verzichte ich, zum einen, weil wir überhaupt keine eingedickten Soßen mögen, zum anderen, weil wir noch sechs Päckchen haben.

Toilettenpapier vergesse ich, was sich später an diesem Tag als Fehler erweist. Wir bekommen lieben Besuch von unserem Freund Magnus, der muss austreten und lässt alsbald einen Hilferuf ertönen. Meine Frau marschiert zur Vorratskammer, inspiziert sie kritisch und stellt mich zur Rede. »Soll er sich den Hintern rasieren?«, fragt sie, »oder ein Sitzbad in Hühnerbrühe machen?«

Ich eile zu unseren Nachbarn. Die Frau öffnet und führt mich zum Vorratsregal. Von der Decke baumeln die Salamis, aber Toilettenpapier ist nicht in Sicht. »Horst hat es beim letzten Einkauf vergessen«, entschuldigt sie sich. Dafür gibt es Glasreihen voller Majonaise, Berge an Salzstangen und literweise Scheuermilch. »Braucht ihr Glühbirnen?«, ruft Horst aus seinem Arbeitszimmer. Seine Frau rollt mit den Augen.

Sollen sie sich doch zusammenrotten, die Undankbaren, und über uns schimpfen. Wenn Kim Jong Il kommt oder gar der Monsterfußpilz, dann werden Horst und ich uns gut überlegen, wem wir etwas abgeben von unserer Dauerwurst und lecker Bohnen in Brühe. Und dazu tunken wir Salzstangen in Majonnaise.