19.10.10

Magdi Aboul-Kheir

Sorry, I truly enjoyed my flight from Tallinn to Riga

»We will do our best to make sure you enjoy your visit.«

Manchmal liest man ja einen solchen Satz und weiß nicht, ob er eine Drohung darstellt. »Enjoy« ist auf jeden Fall lettisch und die Bedeutung unklar. Geschrieben hat mir den Satz ein gewisser Herr Vanags, Vize-Präsident der Unternehmenskommunikation von Air Baltic. Ich soll mit einem Business-Class-Ticket von Deutschland bis Lettland nach Estland und wieder zurück reisen. Zurück wird schwierig.

»Mister Aboulkkrrääääätttzzz and Mister Heubääffffrrrgsss, please come to gate A3.« Die Lautsprecherdurchsage hallt und scheppert durch den Flughafen von Tallinn. Ich habe vier tolle Tage in Estland hinter und in mir, bin sehr müde, habe schon erfolgreich eingecheckt und will einfach nach Hause. »Mister Aboulkkrrääääätttzzz and Mister Heubääffffrrrgsss, please come to gate A3.« Ich erstehe im Duty-Free-Shop noch eine Flasche Wodka, stecke sie ins Handgepäck und schlendere los.

»We have a problem«, sagt der Mann am Gate A3 zu Mister Heubääffffrrrgsss und mir. Das Problem besteht darin, dass das Flugzeug voll ist und unsere großartigen Tickets gar nicht so großartig sind. Wir sind wieder ausgecheckt worden und müssen draußen bleiben. »I know, this is a bad situation«, sagt A3 einfühlsam, wahrscheinlich hat er das in einem Konfliktlösungs-Seminar gelernt, und er setzt noch einen drauf: »Sorry!« Mister Heubääffffrrrgsss und ich blicken uns erschrocken und ungläubig an.

A3 telefoniert kurz. »We have a different situation now«, sagt er dann. Einer von uns beiden – Mister Heubääffffrrrgsss oder ich – könne auf dem sogenannten »jump seat« mitfliegen. Das ist ein Klappsitz, auf dem normalerweise Crewmitglieder während Start und Landung hocken. Einer von uns beiden bekommt also diesen Platz, der andere wird in Tallinn einstweilen hängenbleiben. Vom Anschlussflug in Riga gar nicht zu reden.

»You have to make a decision«, sagt A3 zu uns, nicht ohne wieder ein »Sorry« anzuhängen. Wir schauen uns an, Mister Heubääffffrrrgsss und ich, noch erschrockener und ungläubiger als zuvor. Wo ist die versteckte Kamera, wenn man sie braucht?

»Come on«, sagt A3 kurz darauf, »make a decision«, als handle es sich um ein im internationalen Flugverkehr übliches Verfahren, dass sich zwei Gäste und einen Platz prügeln sollen. Wieso eigentlich prügeln? Mister Heubääffffrrrgsss ist zehn Zentimeter größer und 25 Kilo schwerer als ich, also ist Schlagen keine so gute Idee. Wir werfen eine Münze. Fifty-fifty. Wie »rot oder schwarz« beim Roulette. Da verlier ich meistens. Beim Münzwurf im Flughafen vom Tallinn gewinne ich. Wie ich jetzt gelernt habe, sage ich »sorry«. Dann zerrt mich A3 zur wartenden Maschine.

Mister Heubääffffrrrgsss blickt mir mit stumpfer Ungläubigkeit hinterher. Auf diesem Wege möchte ich ihm ausrichten: Ich weiß, dass man sich im Leben immer zweimal begegnet – aber er soll nicht im Tallinn Airport darauf warten.

»My team and I truly hope that you will enjoy our flight.«

Auch das steht in dem Brief von Herrn Vanags. Noch so ein Satz mit dem lettischen Wort »enjoy«. Der Notsitz befindet sich im Cockpit der Turboprop-Maschine. Ich werde hinter Pilot und Co-Pilot geklemmt und festgeschnallt. Wenn ich plötzlich kotzen muss, so informiert mich der Co-Pilot, muss ich mich abschnallen, den Sitz zusammenklappen, die Tür entriegeln, dann das Cockpit verlassen und die Toiletten aufsuchen. »Sorry.« Ich überlege, ob ich zur Stärkung meinen Duty-Free-Wodka öffnen soll, und bemerke, dass die Flasche zerbrochen ist. Wodkapfützen bilden sich.

»Das verstehen die also unter Business Class«, denke ich mir. Doch später, über den Wolken, teilen Pilot und Co-Pilot eine Portion Trockenaprikosen mit mir. Eigentlich ist es ganz nett da vorn: Ich erfreue mich an der tollen Aussicht, höre den Funkverkehr mit und habe dabei dank Wodkanässe ein Kneipengefühl. Was soll ich schon Böses über eine Fluggesellschaft sagen, die einen Mann mit arabischen Namen im Cockpit mitfliegen lässt, in dem es wie in der übelsten Moskauer Trinkhalle riecht?

Viele Stunden später stehe ich vor unserer Wohnungstür. Meine Frau öffnet. Sie verzieht das Gesicht. »Mir war ja klar, dass du nach Schnaps riechen wirst, aber das ist ja der Hammer! Wo hast du dich denn rumgetrieben?«
»Air Baltic«, sage ich. »I truly enjoyed my flight. Sorry.«