20.01.17

Magdi Aboul-Kheir

Als Adele sich im Zimmer meiner Tochter versteckte

Meine 15-jährige Tochter hat ein hervorragendes Ordnungssystem, das ungefähr so funktioniert: Wenn sie etwas dringend braucht, aber nicht anstrengungslos findet, lässt sie ihre Mutter so lange suchen, bis die es gefunden hat.

Dieses Ordnungssystem funktioniert derart hervorragend, dass ich selbst ein wenig traurig bin, es nicht erfunden zu haben. Ich habe versucht, es mir anzueigenen, aber bei mir klappt es nicht, mangels Kooperation meiner Frau. Mal abgesehen davon, dass ich sowieso nie irgendwas verliere. Also fast.

Dass diese Methode bei meiner Tochter so gut funktioniert, liegt nicht nur an dem Finder-Gen meiner Gattin, sondern an ihrer Geduld und vor allem an ihrer Erfahrung. Sie weiß, wo sie hinzuschauen und hinzulangen hat. Unsere Tochter ist zwar unordentlich, aber das mit System.

In einem ersten Schritt werden die naheliegenden Orte untersucht, an denen Sachen verschwinden können. Also im Bett und unter dem Bett. Im Wäschekorb und im Mülleimer. All die Orte, über die unsere Tochter sagt, dort schon nachgeschaut zu haben. 40 Prozent des Gesuchten finden sich dort. 40 Prozent tauchen an zugegebenermaßen originellen Orten auf: im Kühlschrank oder in einer Topfpflanze, im Kissenfutter oder in gebrauchten Socken oder in einem Riss im Raum-Zeit-Kontinuum. Weitere 19 Prozent finden sich dann doch im Bett und unter dem Bett, im Wäschekorb oder im Mülleimer, weil man dort das erste und das zweite Mal nicht genau genug geschaut hatte. Und ein Prozent bleibt verschollen.

Zu diesem Prozent gehört Adele. Also nicht die Sängern, sondern ihre CD »21«. Die wollte ich mir von meiner Tochter ausleihen. Worauf die üblichen Suchmechanismen in Bewegung gesetzt wurden, leider erfolglos. Tatsächlich fragte ich mehrere Monate lang immer wieder nach Adele, woraufhin gesucht und kläglich gescheitert wurde. Auch der Joker, meine Frau, stieß an Grenzen. »Hör halt was anderes«, sagte sie.

Als ich eines Tages wegen eines defekten Schlauchs unseren Geschirrspüler ausbauen musste, fand ich hinter ihm an der Wand das ausstehende Prozent. Nur nicht Adele.

Mir ist das fremd. Wahrscheinlich könnte ich eine fragliche CD mit geschlossenen Augen aus meinem Musik-Schrank ziehen, weil die Scheiben dort alphabetisch geordnet stehen – was mir den Ruf eines zwanghaften Nerds eingebracht hat. Aber lieber bin ich ein zwanghafter Nerd als einer, der nur die Musik anhören kann, die er zufälligerweise in die Hände bekommt.

Wobei, eines Tages legte mir meine Tochter doch Adele hin: leider nur ihr Album »25«. Wahrscheinlich sollte ich glauben, die »21« sei irgendwo vier Jahre lange herumgelegen und jetzt gealtert aufgetaucht.

In einem schlauen Buch habe ich mal gelesen, dass es eine philosophische Lösung des Problems gibt. Man muss die Welt nur als großes Vorratslager definieren, und schon könne man nichts mehr verlieren. Ich finde, das klingt total klug und überzeugend – aber nur so lange man keine bestimmte CD anhören mag. Aber wahrscheinlich ist das auch nur ein Zug meines zwanghaften Charakters, dass ich unbedingt Adele und nicht Bibi Blocksbergs anhören mag, obwohl die hinter dem Geschirspüler aufgetaucht ist.

Ich habe meine Tochter dann gebeten, wenigstens Adeles »25« in ihr CD-Regal zu stellen – sie besitzt ja ein solches, auch wenn ich nicht weiß, was sie dort aufbewahrt. Murrend fügte sie sich.

Kurz darauf kam ein spitzer Aufschrei aus ihrem Zimmer. Sie trat heraus, verwirrt dreinschauend, Adeles »21« in der Hand. »Die war im CD-Regal gewesen. Ganz vorn. Bei A sozusagen.«

Da fiel es mir ein. Ich hatte die CD dort vor Jahren, als ich sie in einer Topfpfanze gefunden hatte, ordnungsgemäß aufgeräumt.