20.08.11

Magdi Aboul-Kheir

Bindenbrusse forever: Zweibelhirn mit Hudeln und andere Zartheiten

Reisen bildet, und nichts erweitert den Horizont so sehr wie das Studium von Speisekarten. Vor allem, wenn sie in Deutsch oder etwas Ähnlichem verfasst sind, um Touristen zumindest sprachlich entgegenzukommen. Nur wer schon einmal in Ungarn war, hat eventuell »Gebackene Hirnrosen« vorgesetzt bekommen, was hoffentlich nicht zu Neurosen geführt hat. Und nur in Tschechien erfreuen sie die hungrige Kundschaft mit »Gebratenes Keucheln auf amerikanische Art«. Doch wer oder was sind Keucheln nun wirklich? Gewiss, sie sind Verwandte der Bindenbrusse, aber wachsen sie im Garten oder auf dem Feld, werden Keucheln im Stall gehalten oder auf der Jagd gemeuchelt?

Die zahlreichen Lebensmittelskandale der jüngeren Vergangenheit haben uns allemal gelehrt: Wo bewirtet wird, sollte mit Misstrauen in die Küche geblickt werden. Immerhin geben einige Gastronomen bereits auf der Speisekarte Hinweise auf ihr unrechtes Tun. Man kann sich schon denken, wo der »Grabensalat« gepflückt wird. Und aus welch elendem Wasser italienische »Gebrackene Sardinen« stammen! Derweil kann sich der »Polnische elastische Hartkäse« noch nicht einmal entscheiden, in welchem Zustand er sich befindet.

»Ziganer Barten« und »Rinder Barten« klingen weniger nach Fleisch denn nach den sieben Meeren und vor allem nach Wal; ebenso die bescheuerten »Klabsbarten auf Wiener art«. Ob es sogar irgendwo in den sieben oder acht Meeren eine Bartenbrusse gibt?

Die »Karamell Maus mit bitterer Schokolade« lässt uns hingegen bestenfalls ein süßes Nagetier erwarten. In der »Gemischten blinden Paella« kann derweil einfach absolut alles verkocht sein, aber wenigstens schaut sie uns nicht an. Und wer der zahlenden Kundschaft überhaupt keinen Hinweis darauf geben will, was im Essen steckt, nennt sein Gericht einfach »Einschränkung erhabene Schale mit Knoblauch und Ausschalen«. Sehr erhaben.

Ja, es wird schon besser sein, dass wir Kunden nicht alles so ganz genau wissen. Ungarisches »Zweibelhirn« und die »Zweibelsuppe mit Semmerwürfeln« klingen noch irgendwie nach etwas Bekanntem. Doch hin und wieder hilft nicht einmal mehr Raten: Wie schmecken wohl »Felete aus Lansch«? Wie riechen »Maule nach Französischer Art« und »Käselfecke«? Sind »Gänsegrielsen« bekömmlich, von denen der Ungar zuweilen schwärmt? Was steckt der Tavernenwirt alles in seine »Griechischen Röhrchen«? Was hat es mit dem »Kartoffelpfannekneten« auf sich, das ein russisches Restaurant in München anpreist? Was sind »Geröstete Knollenscheren« und was »Gekochte Mummer«? Angesichts der »Kraftmühe mit Hudeln« kann man dem Gast bloß noch raten: Beim Bestellen nur nicht mühen und hudeln!

Ja, es ist wohl wirklich besser, wenn der Kunde überhaupt keine Ahnung mehr hat, was auf ihn in einem Restaurant zukommt und er mit »Hotug«, »Kräntem« und »Öenfeofee« konfrontiert wird. Kennen Sie nicht? Na eben! »Röstbrote von Flamendr mit dem Auchstrich aus dem Schimmelkäse« klingt allemal deftig, ebenso »Gegrillter Lachs mit Detersilienbuuer unter einem Hotug-Senf Guss«. Fangfrisches ist ebenso lecker, wenn auch manchmal enorm rätselhaft: »Gebratener Pangashis, nut kräntem«. Ein munteres Ratespiel geht auch los, wenn man sich in der Slowakei »Lammscheiben mit Öenfeofee« bestellt. Doch den Höhepunkt der internationalen Krypto-Kulinarik verspricht dieses Gericht: »?efeteak mit Äo&e nach eigenem Wünsch«. Wir wünschen uns vielleicht doch ein paar andere Buchstaben.

Ein findiger und zugewandter Kellner könnte einem da weiterhelfen. Überhaupt geht nichts über erstklassigen Service und individuelle Ansprache. »Frische Fische mit persönlicher Auswahl« klingen doch vielversprechend. Und in einer griechischen Taverne schätzen sie gute Gesellschaft: »Die meisten Teller werden von Pommes Frites und Reis begleitet«. Ja, mit Sättigungsbeilagen an der Seite ist kein Weg zu weit – und wie oft müssen die Gerichte über enorme Strecken transportiert werden, man denke nur an »Muschel Sant Jakob in Wien mariniert«. Das sind ja locker ein paar hundert Kilometer!

Wer eine Reise tut, will auch gastronomisch nett empfangen werden. Vorbildlich geht es diesbezüglich in der Toskana zu: In Florenz haben sich etliche Gaststätten zusammengetan, um den Interessenten schon vorab online darüber zu informieren, was ihn erwartet. Etwa im Ristorante Natalino: »Seine Spezialitäten des Fleisches und der Fische wachen den Geschmack des Altertums in einer exellent und attraktiven Mischung auf.« Mögen die Geschmäcker des Altertums erwachen, während es im Lokal Coquinatius anscheinend gesund zugeht: »Groß verlangte und spezielle Teller, italienisch und sonderbar, für die, die einer Diät folgen und für die, die nicht und für die, die eine Sünde von Gluttony festlegen möchten.« L'Assassino ist derweil sündig bereit, »mit seinen typischen Fische cookings zu fungieren und nicht nur dieses. Hier finden Sie auch andere Zartheit.« Halt, Zartheit klingt anzüglich, geht's da wirklich nur ums Essen? Das Restaurant nämlich »wartet Sie mit den breiten Armen sich öffnen«.

Dann vielleicht lieber zu Mamma Gina. Die Gute verspricht uns: »Tradition und Echtheit treffen bitte zu Ihrer Öffnung und zu Ihren Augen.« Oder ums Eck ins Ristorante Piansa, denn »für die, die einen süssen Zahn haben und schwierigen Geschmack haben, haben wir eine beträchtliche Vorwähler des frischen Gebäcks.« Alternativ mag man sich in der Trattoria la Vecchia Conza ein Menü auftischen lassen: »Drilling von Erstem gewählten Tellern vom Chef, grillt Gemischt oder Fisch vom Tag zu Wahl.« Ah ja. Dann doch lieber selbst die Essensfolge zusammenstellen: als Vorspeise »Spachtel zu das bittersüßen«, dann als Hauptgang »Krebse und Kürbis lachen«. Wir auch, und zwar vor Freude.

Und sind vergnügt, am Ende eine süße oder gesalzene Rechnung zu bekommen. Deftiger als in Ungarn geht das freilich nicht. Ein Lokal warnt dort sogar: »Unsere Preise beinhalten (mit Ausnahme der im Rohr gebratenen Gerichte) den Preis der Gerichte nicht!« Aber das ist es uns wert!

Sie lasen Magdi Aboul-Kheirs einhundertundfünfzigste Kolumne auf kolumnen.de. Seine Dreifachjubiläumskolumne, mit der zudem die legendäre »Bindenbrusse« ihr Dutzend voll macht!

Außerdem bildete vor genau zehn Jahren (am 20.8.2001) das erhebende Werk »Hornige Mädchen und Nizzakolben« den Auftakt zu einer immer noch andauernden Reihe kontinuierlich hinreißender Texte des Kult-Kolumnisten.

Wir gratulieren Ihnen – und uns selbst.