20.12.04

Magdi Aboul-Kheir

Herr Fuck You erteilt mir eine Lektion in Sachen Menschenkenntnis

Zu meinen besten Eigenschaften gehört, dass ich meine Mitmenschen nach ihrem Äußeren – vor allem nach Kleidung, Accessoires und Geruch – einschätze und mutig in Schubladen einsortiere. Zu den Kategorien, denen sie aufgrund ihres Erscheinungsbildes zugeordnet werden, gehören »Spießer«, »Musikwissenschaftler«, »Jurastudent«, »Tussi«, »Truller«, »geile Sau« und »Arsch«.

Ich stehe auf dem Bahnsteig und warte auf meinen Zug nach München. Des Weges kommt ein Punk. Kein cooler Punk, kein lustiger kleiner Trend-Punk, sondern ein versiffter, angeranzter, schäbiger Altpunk. Jahrezehnte alte Doc Martens, und die sind noch das Beste, eine ehemals schwarze, unglaublich verfleckte Cargohose, die Reste eines Parkas, auf dem Kopf einen uringelb gefärbten Irokesen. Er raucht, stinkt nach Schweiß und Alk und blickt stumpf zu Boden.

Der Zug fährt ein. Der Typ hat doch nie im Leben eine Fahrkarte, denke ich. Der Punk erwacht aus seiner Lethargie und dreht sich um; auf seinem Rücken trägt er einen Rucksack, den ein »Fuck You«-Aufkleber ziert. Er schlurft Richtung Zugspitze und steigt schließlich ein. Erster Klasse. Das möchte ich nun doch erleben: was sich abspielen und wie Fuck You aus der ersten Klasse rausgeschmissen wird. Also nichts wie hinterher.

Ich setze mich in Sicht- und Hörentfernung. Bereits nach drei Minuten ist der Kontrolleur zur Stelle. Der Punk besitzt eine gültige Fahrkarte. Erster Klasse. Gefunden, geklaut, egal, Fuck You hält sie dem Kontrolleur lustlos hin, der sie angewidert abknipst und weitergeht. Dieses heruntergekommene Null-Bock-Fossil hat tatsächlich ein Erste-Klasse-Ticket! Wer keines hat, bin ich.

Aus solchen Vorfällen kann man eine Menge lernen. Zum Beispiel: Nun weiß ich, wie Leute aussehen, die aus der ersten Klasse rausgeschmissen werden. Sie sehen aus wie ich.