23.01.02

Magdi Aboul-Kheir

Keine Pasta für Käpt'n Blaukraut

Klischees sind toll. Klischees helfen, die Welt zu begreifen. Klischees helfen, Menschen zu begreifen, vor allem fremde. Und das Schönste: Klischees sind wahr. Der Italiener als solcher zum Beispiel baut rostanfällige Autos, brüllt ins Telefon und wirft den Müll aus dem Fenster. Der Italiener liebt seine Mamma, Ferrari und den Papst. Am wichtigsten sind jedoch ihm seine sieben Kinder – die Bambini, die er verwöhnt, verhätschelt, mit viel Liebe und noch mehr Olivenöl bekocht.

Und nun das. Am Schnittpunkt der Kulturen (im bayerisch-württembergischen Grenzland) verweigert eine Trattoria Familien mit Kindern Eintritt und Verköstigung. Für die Kleinen keine Pasta, basta. Die Betreiber wollen ein »anspruchsvolles Lokal« in der Provinzstadt etablieren. Gekocht wird auf hohem Niveau, die Volksseele kocht nun ebenso.

Vielerorts bemühen sich Gastronomen im Rahmen ihrer Phantasie und Möglichkeiten um Kinderfreundlichkeit, die Sabberer von heute sind schließlich die Mampfer von morgen. Also draußen Hüpfburg, drinnen Kinderteller. Pumuckl-Schnitzel, Pommes mit Ketchup als Hein blöd. Derzeit wird sogar Harry-Potter-Kürbisgemüse aufgetischt, da alles geschluckt wird, wo Potter draufsteht. Fehlen nur der Herr der Zwiebelringe, Bienenstich Maja und Käpt'n Blaukraut.

Vom Blaukraut zurück zum Blauen Meer. Mare blu nennt sich die selektive Trattoria. Paare mit älteren Kindern werden zwar großzügig geduldet, dafür sind auch keine Rollstuhlfahrer erwünscht, nicht einmal erwachsene. Warum nicht auch noch ein Türsteher, der Ausländer abweist? Und Senioren! Menschen mit Karies und Hühneraugen! Wer will denn die am Nachbartisch wissen? Am besten eine Edeltrattoria eröffnen für genetisch gesunde, kinderlose Arier mit Spitzeneinkommen. Eintritt nur mit Personalausweis, Gesundheitszeugnis und Kontoauszug. »Wir dürfen uns die Gäste aussuchen, die wir wollen«, spricht die Besitzerin. Der Laden soll »nicht zum Kindergarten verkommen«. Und für jeden gebe es schließlich das passende Lokal.

Stimmt, aber dieser Standpunkt ließe sich ja auch ganz einfach via Karte vermitteln. Keine Pizze, keine Gelati, viel Meeresgetier, alkoholfreie Getränke kräftig überteuert; Kinderteller nicht für Kinder, sondern aus Kindern. Aber nein, das Mare blu bevorzugt es ramboverbal. Fehlt nur das »Wir müssen draußen bleiben«-Schild samt Kinderwagensilhouette.

Auf den Leserbriefseiten der lokalen Gazetten erlebt das Mare blu sein blaues Wunder. Fragen tun sich auf: Sind Wirte die besseren Pädagogen? Wird das Mare blu zum Feinschmeckertempel der Kinderfeinde, die sich endlich mal in Ruhe ein Ziegencarpaccio für 32 Mark auf der Zunge zergehen lassen wollen? Wo ist die political correctness, wenn man sie mal braucht? Und was tun die Grünen? Schill hätte da längst hart durchgegriffen, egal in welche Richtung! Und überhaupt: Deutschland, das kinderfeindliche Land, das kennt man ja schon, aber nun auch noch die Italiener ...

Ach ja, bevor ich es vergesse: Die Besitzerin des Mare blu ist gar keine Italienerin. Sie kommt aus Regensburg. Ha! Dachten wir uns doch gleich. Weil – Italiener sind kinderlieb. Siehe Anfang.

Diese Kolumne finden Sie auch in Magdi Aboul-Kheirs Buch »Papa fertig!« – zusammen mit einer großen Auswahl der beliebtesten Kolumnen (in neuen, teils stark erweiterten Fassungen), aber auch etlichen neuen Texten.