23.04.09

Magdi Aboul-Kheir

Vor dem Bahnhof steht ein Mann mit einer Bürstenfrisur

»Ich komme aus Leningrad und bin Neueinwanderer in Israel.« Meine Frau, die nicht aus Leningrad kommt und nirgendwo hinwandert, sondern nur ihre Hebräischkenntnisse aufbessern will, starrt irritiert auf den Computer. Und nicht nur, weil Leningrad geopolitisch veraltet erscheint. Doch das Lernprogramm beharrt auf dem Übungssatz.

Schülbücher und Sprachführer sind voller seltsamer Sätze. Freunde, die sich auf einen Mexiko-Trip vorbereiteten, bekamen im Reiseführer folgenden Satz empfohlen: »Könnten Sie bitte das Opossum aus unserem Badezimmer entfernen!« Ein schmaler Ägypten-Sprachführer brachte den Möchtegern-Touristen dagegen diese Aufforderung nahe: »Bitte desinfizieren Sie meinen Raum!« Viel mehr hatte das Bändchen nicht zu bieten. Wie soll man durchs Land der Pharaonen reisen mit einer Kommunikationsgrundlage, die gerade mal besteht aus »Ja, Ägypten ist sehr schön, Ägypter sind sehr nett, aber das ist zu teuer«, »Nein, ich will keine garantiert echte Nofrete-Büste kaufen«, »Wo geht's bitte zu den Pyramiden?« und eben »Bitte desinfizieren Sie meinen Raum!«

Wer braucht solche Lehrgänge? Sich verständlich zu machen, ist doch nicht schwer. Die Weltsprache Englisch macht es möglich. Rasch zu erlernen, vielseitig, klangschön. Selbst deutsche Schlager klingen auf Englisch wie sinnliche Sprachkunst. Selbst aus der »Polonäse Blankenese« erschafft die Google-Übersetzung geschmeidige Lyrik in der Sprache Shakepeares: »You fly like the holes in the cheese, because now it is going our Polonäse ... We prefer going with a very large steps, and Erwin summarizes the Heidi from behind the shoulder. This highlights the mood, yes, there is joy on.« Oh joy, wahres Sprachglück, pure Poesie.

Doch wie revanchieren sich die Deutschen? Überhaupt nicht. Selbst mitten im Herzen der Bildung. Wer etwa durchs Deutsche Museum in München schlendert, einer der weltweit bedeutendsten naturwissenschaftlichen Sammlungen, wird zwar mit deutschen Fachtexten vollgepumpt, doch man vermisst selbst rudimentärste Übersetzungen fürs internationale Publikum. So lernen die wissbegierigen Touristen dann eben in der Bergbauabteilung alltägliche deutsche Begriffe wie »Heinzenkunst«, »Kalisalz-Kammerabbau« und »Doppelwalzenschrämlader«. Hätten die Museumspädagogen sich doch Hilfe beim Google-Überseter geholt. Der schlägt vor: »Art Heinz«, »potash mining« und »Doppelwalzenschrämlader«.

Wie so oft: Das Problem beginnt in der Schule. Mit den Lernmaterialien. Das gilt auch fürs Ausland. Wie sollen Kinder eine solch schwere Sprache wie Deutsch erlernen, wenn nur Schmarren in den Schulbüchern steht? In einem Deutschbuch, mit dem unschuldigen französischen Kinder die Sprache Friedrich Schillers, Bertolt Brechts und Oliver Pochers nähergebracht werden soll, steht der Lernsatz: »Vor dem Bahnhof steht ein Mann mit einer Bürstenfrisur.« Kein Wunder, wenn man da nur Bahnhof versteht. Und wer trägt heute noch eine Bürstenfrisur?

Vergleichsweise ist ja das Französische einfach. Mit nur wenigen Worten kann man in dieser feinen Sprache Sachverhalte klar verständlich machen, für die ein Deutscher Seiten füllen oder eine Rede halten muss. Ich erinnere mich, wie ich kurz nach Ende der Schulzeit mit meinem Freund G. in die Hotellobby eines südfranzösischen Hotels trat. Wir hatten unser Auto ein Stückchen entfernt geparkt und warfen erstmal einen Blick ins Hotelzimmer, zum Beispiel um auszuschließen, dass dort ein Opossum wohnt. Danach gingen wir wieder an die Rezeption und wollten dem Hotelier ungefähr folgenden Sachverhalt mitteilen: »Danke, das Zimmer ist in Ordnung, wir nehmen es. Sie müssen es auch nicht desinfizieren. Aber wir müssen erst unser Gepäck aus unserem Auto holen, das kann ein Weilchen dauern, bis wir wieder hier sind. Bitte vermieten Sie das Zimmer in der Zwischenzeit nicht anderweitig.« Mein Freund G., der Französisch-Leistungskurs absolviert hatte – freilich mit durchwachsenem Ergebnis, und das zu recht, wie sich bald zeigen würde – sollte das nun in flüssigem Französisch zum Ausdruck bringen. Er überlegte gründlich und bekam nach längerer Bedenkzeit schließlich unter Mithilfe expressiver Gestik diesen fundamentalen Satz heraus: »Baggage ici.« Frei übersetzt: »Gepäck hier.« Damit war alles gesagt. Der Hotelier stutzte und nickte dann freundlich. Eben, geht doch. Der Mann trug übrigens eine Bürstenfrisur.