23.12.13

Magdi Aboul-Kheir

Wie mich meine Briefmarkensammlung für den Aktienmarkt stählte

Im Jahr 2000 besuchte ich den »Powertag« eines Motivationstrainers, und zwar als Besucher einer Weiterbildungsveranstaltung des Vereinigten Baubeschlag-Handels Süd. Ich kann mich heute nur noch an zwei seiner Power-Ratschläge erinnern. Der erste war, dass man sein Vermögen auf dem Neuen Markt mit Aktieninvestmentfonds couragiert vermehren soll - wer Renditen unter zehn Prozent erziele, sei von gestern und ein feiger Idiot. Der zweite Rat lautete, sich bei Müdigkeit und Konzentrationsmängeln die Ohrenläppchen zu massieren.

Was die Kompetenz des Mentalgurus in Sachen Geldvermehrung angeht, so musste er damals selbst bald Insolvenz anmelden und wanderte schließlich wegen Meineid, Steuerhinterziehung, Konkursverschleppung und weiteren Delikten ins Gefängnis. Ich war froh, seinen Ideen nicht gefolgt zu sein. Und vom Vereinigten Baubeschlag-Handel Süd habe ich nichts mehr gehört.

Dass dem Aktienwunder nicht zu trauen war, konnte ich auch im Freundeskreis beobachten. Einige meiner Bekannten spekulierten freudig auf dem Neuen Markt, mit dem Hinweis, das sei leicht verdientes Geld. Mit dem Gewinn würden sie künftig ihre Luxusurlaube und Fernreisen finanzieren. Es kam dann etwas anders. Seit etlichen Jahren fahren sie mit dem Fahrrad in die Ferien, und zwar an den nächsten Baggersee.

Dagegen war ich dem Neuen Markt von Anfang an misstrauisch gegenüber gestanden. Ich glaubte nicht an wundersame Geldvermehrung. Denn ich hatte die Lektion »wie gewonnen so zerronnen« schon sehr früh gelernt. Bereits als Grundschüler. Als Bub sammelte ich nämlich Briefmarken. Eine Besonderheit in meiner Sammlung waren die vielen Marken aus Ägypten. Wir schrieben die 70er Jahre, die Menschen schrieben noch Briefe, und aufgrund des großen Clans meines Vaters trudelten oft Briefe aus dem Orient bei uns ein, reichlich beklebt mit kunterbunten Marken. Ägypten, das klang in den 70ern noch fern, fremd, exotisch - und auch wenn auf dem Marken im Prinzip immer nur die Pyramiden, die Sphinx und Präsident Anwar el Sadat zu sehen waren, galten sie in meinem Freundeskreis doch als begehrenswert.

Ich nützte das weidlich aus, in dem ich fleißig tauschte. Deutschen Briefmarken waren gewöhnlich, ägyptische reizvoll, ich war zwar erst neun Jahre alt, begriff aber das Gesetz von Angebot und Nachfrage und führte daher einen Umtauschkurs von zehn zu eins ein. Überflüssig zu sagen, dass meine Sammlung in jenen Tagen wuchs und florierte, mit Renditen von weit mehr als zehn Prozent.

Das ging so lange gut, bis meine Freunde und ich Michel kennenlernten. Nicht den aus Lönneberga. Wir wurden nämlich Mitglieder im Briefmarkenclub, wo wir jeden ersten Freitag im Monat bei Spezi und Toast Hawaii fachsimpelten und Marken tauschten - und von mehr oder minder wohlmeinenden Erwachsenen unter anderem den Michel Katalog Afrika in die Hand gedrückt bekamen. Laut diesem philatelistischen Standardwerk waren meine Pyramiden- und Sphinx-Marken nur wenige Pfennige wert, von Präsident Sadat ganz zu schweigen.

Meine Kumpel blätterten im Michel Katalog Afrika, dann im Michel Katalog Deutschland und sahen, dass ich sie über den Tisch gezogen hatte. Sie schlugen mir einen neuen Wechselkurs vor. Statt zehn zu eins: eins zu zehn. Mit dem Wachstum in meiner Sammlung war es vorbei, meine Leidenschaft nahm ernsthaften Schaden.

Seit diesem Tag weiß ich, dass man von einem Augenblick zum anderen sein Vermögen verlieren kann. Aber wenigstens war ich Jahrzehnte später immun gegenüber den Verführungen des Aktienbooms.

Wer übrigens Interesse an großen Päckchen mit Präsident-Sadat-Briefmarken hat, kann sich bei mir melden, ich mache einen fairen Preis.

Ach, und was den zweiten Ratschlag des Motivationstrainers betrifft: Die Ohrläppchen massiere ich mir noch heute.