24.07.07

Magdi Aboul-Kheir

Vier Koffer nach Kairo: Willkommen im Franz-Josef-Strauß-Bazar

Illustration von Martin Rathscheck

Illustration von Martin Rathscheck

Von wegen, Orientalen sind unseriös, bestechlich, ewige Händler und unbelehrbare Flunkerer. Es ist albern, an kulturellen Ressentiments gegenüber der arabischen Welt festzuhalten und solch dumme Klischeevorstellung vom Morgenland zu bewahren. Das Leben als einziger Bazar? Feilscherei ohne Ende? Wir schreiben das Jahr 2007 in einer globalisierten Welt! Auch dort – im Maghreb, am Nil, zwischen Bagdad und Stambul – gelten längst Gesetzestreue, korrekte Verwaltungsvorgänge und klare Prinzipien. Im Prinzip zumindest.

Kürzlich besuchte meine ägyptische Cousine Amida ihren Onkel – also meinen Vater – hier in Deutschland. Drei Wochen lang leistete sie ihm Gesellschaft und entspannte sich im bayerischen Sommer. Vor allem ging sie ein wenig einkaufen. Einkaufen im Hochpreisgebiet Deutschland.
»Wieso gehst du hier shoppen?«, fragte ich meine Cousine, »es muss hier doch wahnsinnig teuer für Dich sein.«
»Wegen der Qualität«, sagte Amida. »In Ägypten ist alles ›Made in China‹. In Deutschland ist auch alles ›Made in China‹, aber die Chinesen machen für die Deutschen bessere Ware als für die Ägypter.«

Ich hatte nun die Aufgabe, meine Cousine nach vollbrachtem Urlaub zum Münchner Flughafen zu chauffieren.
»Es wird ein Problem mit dem Gepäck geben«, warnte mich mein Vater am Vortag vor Amidas Rückflug. Mein Vater ist vor einem halben Jahrhundert nach Deutschland gekommen, hat die alte Heimat hinter sich gelassen, aber er meint, seine Pappenheimer zu kennen. Auch wenn es in Ägypten keine Pappenheimer gibt.
»Wieso gibt es ein Problem mit dem Gepäck?«, fragte ich ihn.
»Deine Cousine war einkaufen«, erklärte er.
»Ich weiß. Und?«
»Deine Cousine war einkaufen.«
»Aber sie hatte uns doch aus Ägypten viele Sachen mitgebracht. Geschenke für die Kinder und zehn große Mangos für Dich«, sagte ich meinem Vater, »das Gewicht hat sie sich ja schonmal für die Rückreise eingespart.«
»Es wird ein Problem mit dem Gepäck geben«, sagte mein Vater mit der Gewissheit, die Ägypter sieben Lebensjahrzehnte lang zu kennen.

Die meisten Fluggesellschaften akzeptieren bei Economy-Fluggästen ein Gepäck von 20 Kilo pro Person, auf langen Flügen manchmal 30 Kilo.
Ich rief das Egypt-Air-Büro in München an.
»Wieviel Freigepäck ist auf dem Flug nach Kairo zulässig?«
»Einen Moment, ich schaue nach.«
»Wieso nachschauen, werden Sie das nicht täglich gefragt?«
»Doch. Einen Moment, ich schaue nach ... 40 Kilo.«
»40 Kilo?« Ich bin baff. »Von soviel habe ich noch nie gehört!«
»Es ist wegen der Ägypter«, sagt die Dame von Egypt Air, als ob das irgendetwas erklärt. Es erklärt offenbar irgendetwas.

»Es gibt kein Problem mit dem Gepäck«, melde ich meinem Vater am Tag des Abflugs, »Amida hat 40 Kilo Freigepäck. 40!«
»Es gibt ein Problem«, beharrt mein Vater. »Und sie weigert sich, die Koffer zu wiegen.«
Amida ist eine gebildete Dame Anfang 50, die schon viel in der Welt herumgekommen ist und dem Westen weder intolerant noch unfreundlich gegenübersteht. Sie kennt das strikte Wesen, die Normierungswut Europas, sie akzeptiert, ja bewundert die Regularien. Allerdings offenbar nicht, was ihr Gepäck betrifft. Es gibt ein Problem, das merke ich nun auch, als ich die Koffer ins Auto stemme. Alles »Made in China«, offenbar beste Qualität und vor allem sehr schwer.

Im Auto, auf der Fahrt nach München, erzählt mir Amida, dass mein Vater keine Schimmer vom heutigen Ägypten habe. »Wir sind in vielen Dingen jetzt europäischer als die Europäer«, sagt sie. »Wir haben gelernt, dass Vorschriften und Vorgaben wichtig sind, und dass eine Gesellschaft besser funktioniert, wenn sich alle daran halten. Sonst kommt man nicht weiter.« Mein Vater dagegen pflege ein Ägypten-Klischeebild von vor 50 Jahren. Damit tue er seiner Heimat Unrecht.

Nun ein Zeitsprung, wir sind am Flughafen, nähern uns mit einem turmartig beladenen, schwankenden Kofferwagen dem Check In. Die Egypt-Air-Fluggäste werden an einem Lufthansa-Schalter abgefertigt.
»Wie viele Personen?«, fragt der Mann, ein deutscher Angestellter, hinter dem Tresen mit einem Blick auf unserer Gepäckgebirge.
»Eine.«
»Wie viele Koffer?«
»Fünf«, sagt Amida, »nein, vier.«
»Egypt Air erlaubt 40 Kilo«, sagt der Mann nachdrücklich und zieht eine Augenbraue hoch, als sei bereits dieser Sachbestand etwas Unsittliches.
Ich ächze die Koffer nacheinander aufs Förderband. Die Waage ächzt auch ein wenig.
»60 Kilo«, liest der Mann vom Display ab. Wieder die Augenbraue. »Sie müssen das Übergewicht bezahlen.« Der deutsche Angestellte tippt auf seinem Computer herum. »21 Euro pro Kilo. Also insgesamt 420 Euro.«
Amida rechnet um und wird blass. »3000 ägyptische Pfund!«
Davon kann eine siebenköpfige ägyptische Familie vermutlich drei Monate lang leben. Andererseits fliegt diese Familie nicht in den Urlaub, denn dann hätte sie 400 Kilo Gepäck dabei.

Nun sind wir an einem Punkt angelangt, an dem die Geschichte eigentlich zu Ende ist. Wir befinden uns im Herzen des Ordnungsstaates Bayern, auf dem Franz-Josef-Strauß-Flughafen, und ein uniformierter Bediensteter fordert uns auf, 420 Euro für Übergepäck nach Kairo zu löhnen. Das ist Gesetz. Hier gibt es nichts zu debattieren, nichts zu handeln, hier gelten Recht und Ordnung. Hier ist Schäubles Staat, hier ist Becksteins Revier, und auch Stoiber hat noch etwas zu sagen. Wir zahlen also 420 Euro – oder Amida lässt einen Koffer bei mir in Deutschland, Punktum.

Da mischt sich aus der Schlange hinter uns ein Ägypter ein. Ein Vielflieger mit der goldenen Egypt-Air-Card. Er kenne sich aus. Heftiges Getuschel. Wildes Gestikulieren. Wir müssten zu einem General-Manager der Egypt Air, übersetzt mir Amida. Es gebe offenbar zwei General Manager, wir müssten den richtigen erwischen. Der eine sei humorlos, aber der andere sei in Ordnung, mit dem könne man reden.

Mit ihm reden? Übers Wetter? Über Ägyptens Fußballnationalmannschaft? Ich wiederhole: Wir befinden uns im dem Franz-Josef-Strauß-Airport, wo schon jeder Falschparker mit unerbittlicher strafrechtlicher Härte verfolgt wird. Doch was ich bislang nicht einmal ahnte: Hier existiert offenbar eine exterritoriale Zone. Das Egypt-Air-Büro, das wir nun aufsuchen. Plötzlich befinden wir uns in Khan el-Khalili, dem berühmten Kairoer Markt, nur Tee wird uns nicht angeboten. Dafür setzt ein mir unverständlicher, gestenreicher Wortwechsel zwischen einem Anzugträger und meiner Cousine ein. An dessen Ende werde ich von Amida informiert: »Wir müssen nur für zehn Kilo zahlen.«
»Warum? Du hast doch 20 Kilo mehr? Es geht doch ums Fluggewicht. Ums Flugbenzin. Um die Sicherheit.«
»Ist alles in Ordnung«, sagt der General Manager; es ist offenbar der, der in Ordnung ist. Salopp steckt er die 210 Euro ein und schreibt uns eine Bestätigung für den Check-In-Schalter.
»Wieso macht der das für Dich?«, frage ich Amida.
»Weil ich Ägypterin bin.«
»Ja, aber es sind doch fast nur Ägypter, die Egypt Air fliegen.«
»Eben. Ist doch prima. Frag nicht.«

Wir kommen von Khan el-Khalili auf den Münchner Flughafen zurück und checken, das Egypt-Air-Papier in der Hand, problemlos mit 60 Kilo Gepäck ein. Der deutsche Angestellte lässt jetzt immerhin nur ein bisschen Ekel durchscheinen; er wirkt so, als habe er schon eine Reihe dieser Papiere gesehen. Amida rechnet derweil die 210 Euro auf ihre Einkäufe um. »Das hat sich überhaupt nicht mehr rentiert, da hätte ich auch in Ägypten einkaufen können.«
»Aber die Qualität ...«
Sie zuckt mit den Schultern. »Ist ja doch alles ›Made in China‹«

Mein letztes Bild von Amida ist, wie sie sich an der Sicherheitskontrolle anstellt, sich langsam vorwärtsschleppt, windschief, gebückt. Wegen der unförmigen Reisetasche und des fünften Koffers, den sie nun versucht, als Handgepäck mit an Bord zu nehmen. Vielleicht wird sie noch einmal Khan el-Khalili aufsuchen müssen. Vielleicht wird der Manager noch einmal eingreifen. Er ist schwer in Ordnung.