Da man 14-Jährige nicht einfach zur Babyklappe schleppen kann, weil sie dort nicht mehr reinpassen, muss man sie beizeiten erziehen. Die meisten Eltern verstehen unter Erziehung, Kinder nach dem eigenen Bilde zu formen, was unter anderem dazu führt, dass blöde Eltern auch blöde Kinder haben, hingegen tolle Eltern ebenfalls blöde Kinder. Ich forme meine Kinder nicht nach meinem Ebenbild, aber sie sind trotzdem toll.
Im Ernst: Am wichtigsten ist es, Kinder in ihrer Individualität anzuerkennen. Sie sollen sich ausprobieren und ihre Stärken herausfinden dürfen. Natürlich, und da wird es schon heikel, sind das nicht exakt die Beschäftigungen und Berufswünsche, die die Eltern bevorzugen – sonst bestünde die Gesellschaft zu einem Drittel aus Ärzten, zu einem Drittel aus Sportprofis und zu einem Drittel aus Castingshow-Teilnehmern. Dass sie das trotzdem genau so tut, ist Zufall.
Allemal sind Gelassenheit und Geduld gefragt. Trotzdem hat diese Toleranz irgendwo ihre Grenzen. Es gibt Hobbys und Interessen, die viele Eltern bei ihrem Nachwuchs nicht akzeptieren, etwa Cannabisanbau, Intimpiercing und Obertongesang. Als Vater von zwei Töchtern habe ich mich schon früh zu absoluter Gelassen- und Offenheit verpflichtet. Ich wusste, lediglich gegen drei Wünsche würde ich mich mit aller Macht stellen, weil sie mir zu arg Mädchenklischees bedienten: Reiten, Ballett und rhythmische Sportgymnastik.
Heute sind meine Töchter zehn und acht, und schon seit Jahren reiten sie und tanzen sie. Und, nein, ich bin deswegen kein gebrochener Mann. Weil ich mir, als das Unheil in Form von Peitsche und Tütü Gestalt annahm, selbst ins Gewissen redete: Wären die beiden Jungen, würden sie »Star Wars« lieben, sich hauen und kein Gemüse essen – hätte ich denn dagegen etwas unternommen? Eben. Wir sollten uns nie von Geschlechter-Stereotypen, ob sie sich scheinbar erfüllen oder scheinbar unzutreffend sind, leiten lassen, in keinerlei Richtung. Meine Töchter, übrigens, lieben »Star Wars«, hauen sich und essen kein Gemüse.
Nicht zuletzt sollte man sich stets den eigenen Werdegang vor Augen halten.
»Was hast du gemacht, als du so alt wie ich warst?«, fragt mich Ida.
»Fußball gespielt.«
»Klar. Was noch?«, hakt Ida nach.
»Fußball geschaut.«
»Okay, und außerdem?«
»Briefmarken gesammelt.«
»Nein, im Ernst, Papa.«
»Wirklich, ich hatte eine Briefmarkensammlung!«
An dieser Stelle werde ich gekniffen.
»Erzähl uns keinen Blödsinn, wieso sollte man denn Briefmarken aufheben?«
»Ich hab die wirklich gesammelt!«
»Und was macht man denn da so?«
»Man steckt die Briefmarken in ein Album.«
»Ist das nicht langweilig?« Dana schüttelt den Kopf.
»Und mit wem redet man darüber?«, will Ida wissen.
»Mit anderen Briefmarkensammlern. Ich war sogar in einem Briefmarkensammlerverein.«
An dieser Stelle werde ich getreten.
»Ehrlich. Ich schwör's! Ich war im Briefmarkensammlerverein. Wir haben uns einmal im Monat in einer Gastwirtschaft getroffen, Spezi getrunken, Toast Hawaii gegessen, uns gegenseitig unsere Alben gezeigt und Briefmarken getauscht.«
»Das ist ja total bekloppt und eklig«, rufen beide unisono, und ich weiß nicht, was sie meinen, das mit den Briefmarken oder den Toast Hawaii.
Wie gesagt, man muss sich stets die eigene Kindheit vor Augen halten. Meine Eltern haben mir ja auch nicht verboten, Briefmarken zu sammeln. Warum eigentlich nicht?
Dana hat mir jetzt auf jeden Fall erklärt, dass sie demnächst mit rhythmischer Sportgymnastik anfängt. Ich werde das erlauben. Und wenn sie dann in einer fußkäsigen Sporthalle mit Band und Keule herumturnt, werde ich mal meine Briefmarkenalben suchen, die irgendwo im Haus meiner Eltern verstaubt herumliegen müssten. Toast Hawaii mache ich mir aber nicht dazu, den finde ich schon lange eklig.