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»Benedikt im Biomüll« vorgetragen von Tom Wendt
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Ratzinger muss ordentlich einstecken. Reste des Frühstückseis, Käserinde, Brotkrumen, alles mitten ins Gesicht.
»Wieso ist der Papst im Müll?«, will meine Tochter wissen.
»In der braunen Tonne muss man doch immer Altpapier unten reinlegen«, sage ich, »sonst suppt der Biomüll so durch«.
»Aber wieso denn der Papst?«
Wieso, wieso. Weil ich einfach irgendeine Tageszeitung vom Papierstapel genommen habe; zufällig war es die vom 20. April 2005, und deren Titelseite ziert nunmal die Schlagzeile »Joseph Ratzinger wird Papst« samt einem Porträt des winkenden, irgendwo zwischen huldvoll und angestrengt lächelnden Benedikt XVI. Ich kippe eine Ladung Kaffeesatz aufs Kirchenoberhaupthaupt.
»Aber wieso der Papst?«, insistiert meine süße Kleine, »ist der schon wieder tot?«
»Nein, natürlich nicht.« Wieso schicken wir das Kind ausgerechnet auf einen katholischen Kindergarten? Lernt sofort, alles symbolisch zu deuten. Wird am Montag zur Schwester rennen und sagen: Meine Papa hat den Papst in den Müll geworfen.
»Ich glaube, der ist doch tot. Die wählen ja schon wieder einen neuen.«
Meine Tochter deutet aus dem Fenster. Unsere Nachbarn im Wohnblock gegenüber heizen an diesem kühlen Aprilmorgen wieder kräftig ein, weißer Rauch steigt auf.
Ich werfe Apfelschalen in den Müll.
Religion und Erziehung, eine harte Nuss. »Seht das Zeichen, seht das Kreuz, es bedeutet Leben«, hatte meine Tochter erst kürzlich eines Abends gesingsangt. Offenbar ein im Kindergarten erlerntes Lied. Ich dachte mir nichts dabei, und das Kind sang weiter »Danke, Jesus, für Dein Kreuz, danke für die Nägel.« Danke für die Nägel? Ich traute meinen Ohren nicht. Was war denn das für ein pietistischer Leidensblödsinn? Evangelen-Masochismus im katholischen Kindergarten? Danke für das Kreuz und danke für die Nägel? Natürlich, so klärte mich meine Frau später prustend auf, heißt es: »Danke für das Kreuz, danke für Dein Leben.«
Sowas verunsichert. »Du sollst dem Papst keinen Müll auf den Kopf werfen«, ruft meine Tochter. Sie ist mittlerweile ziemlich empört. Sie sieht die Sache in der Tat typisch katholisch-symbolisch. Und das mir, der ich so gut protestantisch – also zunächst mal antikatholisch – erzogen worden bin. Ich blicke in die braune Tonne. Von Benedikt XVI. ist nichts mehr zu sehen. Altpapier, Himmel! Die Seite gibt es in einer Auflage von 350.000, die wird zerknüllt, zerrissen, verbrannt und verschmiert, nasse Schuhe werden damit ausgestopft, nur ich darf den Mülleimer damit nicht auslegen, weil mich meine noch nicht einmal vierjährige Tochter für einen Papstfeind hält. Vor zwei Wochen war Ratzinger für 80 Prozent der Deutschen noch ein rotes Tuch, verkörperte das Verknöcherte, das Unverzeihliche und die Rückwärtsgewandheit des Vatikan, und kaum heißt es »Wir sind Papst«, bin ich nicht mehr Herr meiner Biotonne.
»Was machst Du da?«, fragt meine Frau, die in die Küche kommt und mich vor dem Abfall knieend antrifft, »betest Du den Müll an?«. Sie ist katholisch und mit dem ganzen Symbolquark aufgewachsen.
Meine intensivste Erfahrung mit dem Katholizismus datiert aus späten Teenagerjahren. Seinerzeit wollte ich mit meinem Freund G., aus gut katholischem Hause stammend, einen Skiurlaub antreten. Kurz vor der Abfahrt standen wir in der Küche seines Elternhauses, und da näherte sich seine Mutter, die Gefahren der Skipisten, eventuell auch des Après-Skis witternd, mit der Weihwasserflasche, die dort offenbar für solche Momente bereitstand. Mein Freund G. bekam einige Tropfen auf die Stirn gerieben, dann war ich an der Reihe, doch in einem Anfall sowohl postpubertär als auch protestantischer Hysterie weigerte ich mich, diesen nassen Segen auftragen zu lassen. Es kam wie es kommen musste: Mein Freund G. brach sich beim Skifahren den Daumen, mir passierte nichts. Diese Erfahrung bescherte mir eine hoch subjektive empirische Einschätzung des Katholizismus, die noch immer der Widerlegung harrt: Viel Show, keine Wirkung.
Sowohl Show als auch Wirkung habe ich hingegen in meiner Küche. Meine Tochter plärrt, meine Frau schüttelt den Kopf, und ich grabe seufzend den Papst aus der Mülltonne aus. Benedikt XVI. lächelt noch immer verhalten, ist aber voller Kaffeeflecke, außerdem klebt ihm Eigelb auf der Stirn. Meine Tochter hört auf zu weinen. Ganz klar, ich verliere sie an die Katholiken. Sie merkt noch an: »Den musst Du jetzt aber saubermachen.« Natürlich, wie sieht denn das sonst aus? Danke für die Belehrung. Und danke für die Nägel.
Diese Kolumne finden Sie auch in Magdi Aboul-Kheirs Buch »Papa fertig!« – zusammen mit einer großen Auswahl der beliebtesten Kolumnen (in neuen, teils stark erweiterten Fassungen), aber auch etlichen neuen Texten.