27.01.12

Magdi Aboul-Kheir

Das traurige Schicksal des talentierten Parkplatzfinders

In Filmen tragen sich unwahrscheinlichste Dinge zu, diese aber mit größter Regelmäßigkeit: Polizisten müssen stets in Striptease-Läden ermitteln, Bösewichter schießen immer daneben, und Frauen mit hässlichen Brillen und Hochsteckfrisuren werden sofort zu Ludern, wenn sie das Haar öffnen und die Brille ablegen.

Im Kino herrschen eben ganz eigene Gesetze: In Paris sieht man von jedem Fenster aus den Eiffelturm, Bomben sind nicht zu entschärfen, solange das Zählwerk noch mehr als zehn Sekunden anzeigt, und Liebespaare besitzen spezielle Bettwäsche, die die Brust des Mannes freilässt, die Frau jedoch bis zum Hals bedeckt.

Vor allem aber finden Kinohelden, egal, welches Gebäude sie ansteuern, unmittelbar davor einen Parkplatz. Mitten in der Stadt vor dem Gerichtsgebäude? Im Gedränge am Flughafenterminal? Am Abend vor der Oper? Kein Problem, genau davor wartet immer ein freier Platz auf Cruise, Pitt, Craig & Co. Und im Gegensatz zu all den anderen Filmklischees hat mich das noch nie gestört. Denn ich parke auch immer genau dort, wo ich hin will.

Jeder Mensch hat besondere Fähigkeiten. Manche können mit einem Gabelstapler Bierflaschen öffnen, andere ziehen aus einer hundertstelligen Zahl die 13. Wurzel, und jüngst spielte ein Typ gegen 46 Kontrahenten Blind-Simultan-Schach. Und ich? Ich finde Parkplätze.

Dabei handelt es sich nicht um ein Mysterium. Ich habe keinen siebten, noch nicht einmal einen sechsten Sinn, ich besitze auch keine Bürzeldrüse zum Wittern freier Parkplätze. Ich bin nur hinterm Steuer geradezu abgefuckt cool, wenn ich mich dem Ziel nähere. »Park doch hier«, sagen Beifahrer gern, wenn sie ein paar hundert Meter vorm Ziel eine Lücke am Straßenrand erspähen oder, wie schmählich, ein Parkhaus ausmachen. Darauf antworte ich noch nicht einmal mit einem Grunzen, sondern fahre weiter so gelassen wie konzentriert bis zum Ziel, wo sich dann so selbstverständlich eine Stellfläche auftut, als ob sie auf mich gewartet hätte. Was sie irgendwie auch hat.

Wir reden nicht von Parkplätzen in ungefähr fußläufiger Nähe zur Zieladresse. Wir reden von: direkt davor. Einparken, aussteigen, reingehen. Vor dem Abflugterminal am Frankfurter Flughafen. In der Münchner Maximilianstraße. Früher parkte ich in Ulm mitten auf dem Münsterplatz, bis man die Autos von dort verbannte.

Was uns zu einem traurigen Befund führt: Das Können des Parkplatzfinders wird leider immer weniger geschätzt, denn es ist immer weniger gefragt. Die moderne Verkehrsleitplanung macht mich zu einem Relikt, zum Störenfried, zum Nichtsnutz. Denn das Talent des extremen Parkplatzfindens setzt voraus, dass es in den Innenstädten überhaupt noch Parkplätze gibt. Im Park- oder Halteverbot oder auf Behindertenplätzen stehen, kann ja jeder – ich habe stets legale, reguläre Parkplätze gefunden. Doch die modernen Stadtväter mögen Menschen wie mich nicht mehr. Sie bauen Tiefgaragen, in denen jeder Idiot einen Platz findet, oder sie richten gar, wie jämmerlich, »Park and Ride«-Angebote ein.

So ähnlich müssen sich Neandertaler gefühlt haben, als ihre Gattinnen eines Tages, verächtlich lächelnd, mit den Homo sapiens aus der Höhle nebenan mitgingen. Oder Jean-Claude Van Damme, Dolph Lundgren und Michael Dudikoff, als sie 1995 merkten, dass die 80er Jahre endgültig vorbei waren.

Ach, schlimm ist es gekommen: Ich lebe längst in einer Wohnung mit Tiefgaragenstellplatz. Ja, wie tief kann man sinken? Aber vielleicht sollte ich fürs Stärken meines Egos Simultanschach trainieren oder das Wurzelziehen. Oder auch Kunststücke mit dem Gabelstapler einüben. Aber wo parkt man den heute?