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»Hurra, fleischfressende Kinder« vorgetragen von Tom Wendt
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27.06.05

Magdi Aboul-Kheir

Hurra, fleischfressende Kinder

»Fleisch ist ein Stück Lebenskraft« hieß es in der TV-Werbung meiner Jugendzeit, und das war neben »Nicht nur sauber, sondern rein«, und »Da weiß man, was man hat« eine unumstößliche Wahrheit, zudem eine tief prägende. Denn heute verspüre ich keinerlei Lust, dass meine Kinder Vegetarier werden. Daher stelle ich mich zur warmen Jahreszeit, also von Februar bis November, jedes Wochenende auf den Balkon, grille, was Tierreich, Schlachter und Wochenmarkt hergeben. Vor dem Nachwuchs inszeniere ich das stets als grenzenlosen Spaß und Höhepunkt lukullischer Lebensqualität.

Was auch hinter diesem Aufwand steht, ist die angstvolle Erinnerung an Pedro. Es gibt diese Szene in »Giganten«, dem Öl- und Rinder-Filmepos mit Rock Hudson und James Dean. Kinder spielen darin Tag für Tag mit dem ulkigen Truthahn Pedro. Plötzlich, an Thanksgiving, ist Pedro verschwunden. Sowas aber auch. Beim Abendessen steht dafür ein riesiger knuspriger Braten auf der Familientisch, sieht ungemein lecker aus und duftet fast schon aus dem Fernseher heraus. Doch was macht eines dieser blöden Kinder? Es fragt nach »Pedro«. Und schon plärren alle Kleinen los, »Pedro, Pedro!«, das Essen wird kalt, die ganze Tafel ist stimmungsmäßig völlig im Eimer, und schon wird nur noch Gemüse aufgetischt. Ein Horrorszenario.

Konsequenz Nummer eins: »Giganten« wird in meiner Familie zum Tabufilm erklärt. Frei erst ab 18. Konsequenz Nummer zwei: Ferien auf dem Bauernhof kommen nicht in Frage. Konsequenz Nummer drei: Papa entwickelt ein konsequentes und rationales Abhärtungsprogramm.

Ich erzähle vor dem Zubettgehen das Märchen von den zwei Häschen im Walde oder vom Hasen und Igel. Danach greife ich zu »Kaninchenfleischgewinnung. Handbuch für Züchter und Mastbetriebe« und trage, in sachlichem, unaufgeregtem Ton einige Passagen vor. »Die Vermarktung der Kaninchenschlachtkörper erfolgt als Ganzkörper oder in Form von Teilstücken.« Oder. »Verarbeitungsparameter wie Proteinlöslichkeit, Wasserbindevermögen, Emulgierbarkeit oder Erhitzungsverluste erlauben ohne weiteres auch die Produktion von Wurstwaren.« Manche dieser Texte vertone ich auch spontan und singe sie in harmlosen Tonfall vor: »Die Hinterläufe sowie der Bauchbereich werden vorenthäutet, danach wird das Fell in seiner Gesamtheit von den Keulen über den Kopf abgezogen.« Meine Tochter nickt und schläft friedlich ein.

Meine Taktik scheint aufzugehen. Ich reiche Hasenrücken auf Wirsingbett, bald darauf gibt es schwäbischen Hasenschlegel und dann Kaninchenbraten aus dem Schmortopf. Alles wird verzehrt, Papa hat's drauf, nur meine Frau mosert, sie macht sich nichts aus Wild; ich sage, es geht ums grundsätzliche Lernziel, sie ist schließlich Schnitzelfanatikerin, und wenn meine Taktik nicht aufgeht, darf sie sich eines nahen Tages gern panierte Tofuscheiben in die Pfanne legen. Das wirkt, meine Frau, einsichtig und vor allem so tofuhassend wie tierischeseiweissliebend wie sie nunmal ist, nimmt sich eine zweite Portion aus dem Schmortopf.

Ich erwäge, zur Abwechslung Zicklein in Rosmarinsoße zu kochen und zur literarischen Vorbereitung »Der Wolf und die sieben Geißlein« vorzulesen, nur ohne das Ende, wo die Geißlein wieder aus dem Wolf rauskommen; doch meine Frau meint, ich übertreibe.

Vielleicht hat sie recht. Die Kindergärtnerin spricht mich an. Ein Mädchen habe sich beim Basteln in den Finger geschnitten und kräftig geblutet; meine Tochter habe gefragt, ob man daraus nicht Schwarzwurst oder roten Presssack gewinnen könne.