27.12.09

Magdi Aboul-Kheir

Ein Geschenk der Natur

Es begab sich aber zu der Zeit, dass meine Gattin sprach: »Mann, hol den Weihnachtsbaum.« Und ich ging mit dem Volvo Kombi hin und kaufte mit fachmännischem Blick eine prächtig gewachsene, stattliche 2,10 Meter hohe »Original-Nordmanntanne« für 32 Euro.

Mit dem Erstehen von Christbäumen ist es wie beim Melonenaussuchen oder Gebrauchtwagenkauf. Es gibt Kenner und Nichtskönner. Der Kenner wirft einen scharfen Blick auf die Ware, klopft hier herum, tastet dort herum – und fertig. Derart kompetent besorgte ich also einen Spitzenbaum für die Familie. Den stellte ich am Morgen des 24. zuhause auf und sah, dass es gut war. Doch meine Frau meinte, dass es nicht gut war. Vor allem, dass es nicht gut roch.

Leider hatte sie recht. Der Baum hatte ein Geschäft verrichtet. In unser Wohnzimmer. Beziehungsweise verrichtete er es fortdauernd. Der »Original Nordmann« roch original nach Urin. Genauer: nach Katzenpisse.

Von wegen »O Tannenbaum, o Tannenbaum, du kannst mir sehr gefallen« – in unserer guten Stube stank es wie in einer alten Bahnhofstoilette. Und die Worte vom »hell glänzenden Strahl« in »Ihr Kinderlein kommet« bewirkten nun ganz anderes in unseren Ohren. Und Nasen.

Offenbar hatte ein nicht adventlich gestimmter Kater auf dem Verkaufsareal herumstehende Bäume markiert, und der Geruch war geradezu ins Holz eingezogen. An unserer 32-Euro-Tanne hing noch ein Werbezettel: »Ein Geschenk der Natur«. Wahrlich!

Am Mittag saßen wir in trautem Kreis zusammen, wollten uns Stollen und Plätzchen schmecken lassen. Kaffee- und Kerzenduft zog durch die Wohnung, Zimt und Nelken, Vanille und Pipi. Dann spielten die Kinder mit der Krippe.
»Wie haben die heiligen drei Könige eigentlich das Jesuskind gefunden?«, wollte Ida wissen.
»Die sind dem Stern gefolgt«, wusste Dana.
»Ich glaube, die sind immer der Nase nach«, ätzte meine Frau. Das klang nach einer Handlungsaufforderung an meine Adresse. Denn es roch immer beißender rund um Krippe und Baum, freilich nicht nach christkindlichen Windeln, auch nicht nach Heu oder Stroh, Ochs oder Esel.

Im Internet stieß ich auf zwei Ratschläge:
Erstens: »Stinkenden Baum wegwerfen und neuen Baum kaufen« – das erschien mir am frühen Nachmittag des 24. Dezembers nicht mehr praktikabel.
Und zweitens: »Baum mit Haarspray behandeln, das deckt den Geruch wie mit einem Lack ab.«
»Mann, kauf Haarspray«, sagte meine Gattin, die nicht im Besitz solcher Chemiekeulen ist, nun aber gar kein ökologisches Gewissen mehr hatte. Natur hatten wir schon genug in der guten Stube.

Ich raste zum Drogeriemarkt, der um 14 Uhr schloss. Die Kassiererin dachte sich wohl ihren Teil, als sie am Heiligabend um 13.58 Uhr einen atemlosen glatzköpfigen Mann vor sich hatte, der unbedingt noch Haarspray benötigte.

Zum ersten Mal im meinem Leben war nun ich Besitzer des legendären Drei-Wetter-Tafts. Die Beschreibung »Power-Haarlack, megastark« samt »Vitamin-Kraft-Formel« hatte mich überzeugt. Das Spray beschwert das Haar nicht und schützt es vor dem Austrocknen, das ist ja auch beim Tannenbaum ratsam.

Die Älteren wissen das noch aus der Werbung:
»Hamburg, 8.30 Uhr, wieder mal Regen. Perfekter Halt für die Zweige – Drei Wetter Taft.
Zwischenstopp München, es ist ziemlich windig. Perfekter Sitz der Nadeln – Drei Wetter Taft.
Weiterflug nach Rom, die Sonne brennt. Perfekter Schutz für den Stamm – Drei Wetter Taft«.
So ungefähr zumindest.

Wir sprühten wie zwei irre Haarstylisten im Wald. Der Zweck heiligabendlichte die Mittel. Am nächsten Morgen roch unser Wohnzimmer wie ein Friseursalon, in den jemand uriniert hatte.

Dann kam Besuch, liebe Nachbarn, die den Brauch des Weihnachtsbaum-Lobens pflegten. Der funktioniert so: Man tritt in die Stube, und egal, was für eine Krüppeltanne dort im Eck steht, man preist sie an: »Oh, das ist aber ein schöner Weihnachtsbaum.« Als Dank für das Lob gibt der Baumbesitzer eine Runde Schnaps aus. Ein schöner Brauch. Unsere Nachbarn traten ein, wollten preisend loslegen, atmeten noch einmal durch – und sagten: »Oh, das ist aber ein ... was riecht denn hier so streng?«

Der Weihnachtsbaum-Händler hatte »Qualität, die hält« versprochen. Das stimmte, was den Geruch betraf. Normalerweise hegen und pflegen wir unseren Baum bis zum Dreikönigstag. Diesmal flog er am 27. Dezember hinaus.

Jetzt liegt er auf dem Grünstreifen in unserer Straße. Wenn sich wenigstens die Katzen im Viertel daran erfreuen könnten. Aber denen riecht der Baum zu sehr nach Haarspray.