28.12.07

Magdi Aboul-Kheir

Wladimir und die Entchen

Ich habe einmal eine sehr lustige Kolumne über Ivan Rebroff geschrieben. Sie wurde nie veröffentlicht, denn man muss den Anwälten ja nicht auch noch mit Vorsatz etwas zu tun geben. Man könnte also meinen, ich hätte zum unendlich tief-traurigen russischen Wesen, wie es sich durch Gesang äußert, ein gespaltenes Verhältnis. Aber erstens ist Rebroff gar kein richtiger Russe, und zweitens geht es ja auch anders.

In einem Gässchen unserer Stadt sitzt ein russischer Akkordeonspieler, laut Pappschild heißt er Wladimir, der mit einer charakterstarken Stimme, die in die russische Seele blicken lässt, wundervolle Lieder vorträgt. Es ist ein Genuss, wenn man ihn – schon von Weitem – hört. Zum Dahinschmelzen, zum Weinen.

Wie gesagt: Schon von Weitem. Leider nur von dort. Denn ich bin stets mit meinen Töchtern in der Stadt unterwegs. Und sobald der Musiker uns anmarschieren sieht, lacht er, singt und legt mit »Alle meine Entchen« los. Klar, er will den Kleinen eine Freude machen. Doch statt sich durch wahrhaftige russische Melancholie zu schwelgen, krampft er sich durch das deutsche Liedchen – mit einem so grausigen Akzent, dass man sich nackt durch den steinigen Ural geschleift fühlt. »Allääää mainää Äntccchhhhännnnn«. Und dazu tastet Wladimir eine albern-infantile Begleitung daher, dass einem zumindest das Hören endgültig vergeht. Da bleibt nur die Flucht. Noch nicht einmal die Kinder drängen darauf, bei dem Musikus stehenzubleiben. Er hingegen blickt uns stets freundlich nach.

Das Ärgerliche ist: Seine russischen Lieder sind wirklich schön, und Wladimir singt sie richtig ansprechend. Nur darf offenbar ich sie nicht richtig zu Gehör bekommen. Nie. Verantworlich sind, und das schreibe ich ohne jede Vorwurf, sondern konstatiere es nur – also verantwortlich sind meine Kinder. Waldimir scheint ein manischer Kinderfreund zu sein. Sobald er meine Töchter in der Menge ausmacht, schwimmen die Entchen los. Wenn wenigstens ab und an »Fuccchhhhs, du ccchhhast die Ganzzz gästohlännn« oder »Hänsccchhhen klainn« ertönte, aber nein, immer nur Enten.

Da man die großen Kämpfe im Leben sowieso verliert, muss man sich den kleinen Herausforderungen stellen. Einmal bleibe ich also bei Wladimir stehen und suche den direkten Kontakt, die klärende Aussprache. »Bitte keine Kinderlieder«, flehe ich. Er lacht nur: »Ja, ja Kinder!« Ich gebe ihm Geld, viel Geld, bitte inständig: »Keine Entchen!« Wladimir nickt aufmunternd: »Danke. Du gut. Alle Entchen gut!« Und legt wieder von vorn los.

Einige Wochen und Entchen-Demütigungen später bin ich ausnahmsweise mal allein in der Stadt unterwegs. Schon von Weitem höre ich Wladimirs Akkordeon und seine traurige, kehlentiefe Stimme. Ja! Endlich bin ich ohne Kinder unterwegs, endlich werde ich seine Musik einmal authentisch und ohne kindische Einlagen genießen können. Ich biege in die Gasse ein. Wladimir sieht mich. Erkennt mich. Lacht. Und legt los: »Alle meine Entchen ...«

Diese Kolumne finden Sie auch in Magdi Aboul-Kheirs Buch »Papa fertig!« – zusammen mit einer großen Auswahl der beliebtesten Kolumnen (in neuen, teils stark erweiterten Fassungen), aber auch etlichen neuen Texten.