29.08.01

Magdi Aboul-Kheir

Wie ich das Verhältnis zu meiner Schwiegermutter Sieglinde zerrüttete

Erneut lautet das Thema: die deutsche Sprache. Diesmal in heimtückischer Verbindung mit dem Aspekt: die deutsche Schwiegermutter. Das nur als Warnung vorneweg.

Dies ist die Geschichte eines linguistischen GAUs. Wieder mal das Kleingedruckte im Wörterbuch nicht gelesen, wieder mal den Beipackzettel im Duden nicht beachtet. Die Folge? Nebenwirkungen schlimmsten Grades.

Schuld war in vorliegendem Fall allerdings nicht die Sprache per se, vielmehr meine Neigung zur originellen grammatikalischen Konstruktion, zur selbstverliebt-artifiziellen Wortstellung, zu kolumnistischer Brillanz im gesprochenen Wort. Aber der Reihe nach.

Auf einer Skala von null (»Eisige Herzenskälte, offen zur Schau getragener Hass, sich körperlich manifestierende Aggressionen«) bis zehn (»Adoptionsanwandlungen, Aufnahme in die Erbfolge, erotische Gelüste«) befand sich das Verhältnis zwischen meiner Schwiegermutter Sieglinde und mir vor kurzem noch auf einer schwachen fünf mit leichter Tendenz nach oben. Also immerhin. Dieser Wert war das Ergebnis guten Willens und bewusster Arbeit, wahrscheinlich beiderseits.

Wen kümmert das Verhältnis zu den Schwiegereltern schon, fragen da Berufszyniker und Familienphobiker. Nun denn: Ein akzeptables Verhältnis bedeutet weniger Stress mit dem Partner (gemeinhin das Kind der Schwiegereltern), bedeutet zuweilen auch kleine bis mittlere Präsente. Es ist also erstrebenswert, zwischen den Generationen nicht den Kalten Krieg ausbrechen zu lassen. Schwiegermutter Sieglinde und ich hatten uns vom Waffenstillstand über die Aufnahme bilateraler Verhandlungen und einen Nichtangriffspakt bis zum Stadium friedlich-freundlicher Koexistenz vorgearbeitet. Und nun das.

Die Situation war folgende. Schwiegermutter Sieglinde und Schwiegervater Dölle (die heißen wirklich so) waren an einem sonnigen Spätsommersonntag zu Besuch in der süddeutschen Provinzgroßstadt, in der wir leben. Wir gingen spazieren. Schwiegermutter Sieglinde liebt, wie ich von früheren Besuchen wusste, alte Möbel. Schwiegervater Dölle hat ein Faible für antiquarische Bücher. Wir kamen an einem Antiquitätenladen vorbei, die Schwiegereltern kabbelten sich ein wenig. Der Wortwechsel lässt sich auf Schwiegervater Dölles Kommentar verkürzen: »Wir brauchen keine Möbel mehr, wir haben keinen Platz dafür.« Wir gingen ordentlich gelaunt weiter und kamen an einem Bücherantiquariat vorbei. Wieder ein leichtes Wortgefecht, dazu Schwiegermutter Sieglindes Urteil: »Wir brauchen keine Bücher mehr, wir haben keinen Platz dafür.« Ich wollte mich spaßhaft solidarisch auf Schwiegermutter Sieglindes Seite schlagen. Also hob ich an und sprach: »Bücher gibt's nicht, alte.« Das »alte« war als Attribut zu Bücher gemeint, als nachgestelltes Adjektiv, wie denn sonst. Wie denn sonst?

Als mir die sprachliche Ambiguität des Gesagten klar wurde, war es schon zu spät. Gesagt hatte ich: »Bücher gibt's nicht, alte.« Verstanden hatte Schwiegermutter Sieglinde: »Bücher gibt's nicht, Alte.«

Die panisch einsetzenden Rettungsversuche meinerseits verpufften im Vakuum der offenbar eklatanten Beleidigung. Im weiteren Verlauf der Tages versuchte ich mich an einer Ironisierung durch fortwährendes Sprechen mit Adjektiven, nachgestellten. Am Abend kochte ich groß auf. Ich machte Komplimente zu Kleidung, Accessoires, Haarschnitt. Alles vergebens. Auf der Schwiegersohn-Schwiegermutter-Skala sind wir in beispielloser Rasanz auf die zwei abgestürzt. Wenn überhaupt. Keine Präsente mehr.

Für mich ist es nun zu spät. Aber die geneigten Leser sollten gewarnt sein: Die deutsche Sprache hat Klippen, gefährliche.