30.01.09

Magdi Aboul-Kheir

Sie nannten ihn Rubbler

Es tut mir leid, L. Wirklich, ehrlich. Ich bin schuld. Ich sollte mich schämen. Wenn ich es nur wieder ungeschehen machen könnte. Es einfach wegrubbeln könnte.

Eine Weile hatte ich schon nicht mehr daran gedacht, dann sah ich diese Werbung für den »Rubbel-Euro« beim schottischen Frikadellenbrater. Und musste sofort lachen. Meine Frau prustete auch unmittelbar los. Und die Freunde, die uns begleiteten, ebenso. »Das ist doch was für den L.«, grienten alle und klopften sich auf die Schenkel. »Für unseren Rubbler.«

L. heißt in unserem Bekanntenkreis nämlich »Der Rubbler«, eine Bezeichnung, die einem Akademiker in gehobener Anstellung bei einem Weltkonzern kaum angemessen erscheint. »Dipl.-Ing. Rubbler« wäre das Mindeste.

Schuld daran bin ich. Ich habe L. während des Wehrdienstes kennengelernt, vor gut 20 Jahren. Wir waren Stubenkameraden, die zusammen den Unbill dieser Zeit ertrugen. Eines Abends lagen wir in den Stockbetten unserer gar nicht guten Stube, ermattet vom einfältigen Tagwerk; plötzlich ruckelte und ächzte eines der maroden Betten los. »He, L., du Rubbler, hör auf«, rief ich, und alle prusteten los. Aber ich hatte L. Unrecht getan: Das Gewackle hatte keine autoerotischen Ursachen. Doch natürlich hatte der arme L. – der seine Hände zurecht in Unschuld wusch und sonst nichts mit ihnen anstellte – einen neuen Spitznamen weg.

In der Wikipedia steht über Spitznamen der schöne Satz: »Er ist nahezu nie selbstgewählt, auch spielen Zustimmung (oder Ablehnung) des Benannten keine Rolle.« Im Falle des Rubblers dürfte das stimmen. Gerade von Zustimmung ist nichts bekannt. Und weiter: »Ein Spitzname kann sich auf körperliche Gebrechen und andere Auffälligkeiten einer Person beziehen.« Das ist im Fall des Rubbelns zwar vorstellbar, aber völlig unzutreffend. Wobei L. über sehr große Hände mit extrem langen Fingern verfügt. Geradezu idealtypische Rubblerhände.

Rubbler ist auch ein Spitzname, der sich geradezu idealtypisch an eine Person heftet; einer, dessen sich diese Person aufgrund ihrer anschaulichen semantischen Zugkraft nicht mehr entledigen kann. Mit allen erdenklichen Assoziationen (so arg unterschiedliche sind es im Falle des Rubbelns allerdings nicht).

»Wann siehst Du mal wieder den Rubbler?«, fragt mich meine Frau. Und wenn ich mich aufmache, mit L. ein Bier trinken zu gehen: »Grüß den Rubbler!« Es ist weder abfällig noch böse gemeint. Der Rubbler heißt bei uns einfach so.

Was uns nicht davon abhält, loszukichern, wenn es irgendwo »Rubbel-Lose« gibt, wenn wir etwas lesen von »Rubbel-Euros« oder gar vom »Rubbel-Turbo«. Dem armen L. mag trösten, dass es schlimmere Kosenamen gibt, etwa »Rumpelpu«, »Rosettenritter« und »Flutschi«. Auch »Schweini«, obwohl sehr populär, ist – streng betrachtet – gar nicht mal so erstrebenswert. Und was ist schon an einem Spitznamen wie etwa »Bully« besser? Freilich könnte man als »Rubbler« kaum so erfolgreiche Filme drehen. Höchstens den »Wixxer«.

Ach, nein, irgendwann sollte einfach Schluss sein mit diesem postpubertären Herumgealbere. Aus Hänschen wird auch mal ein Hans. Freilich: Was wird aus einem Rubbler? Und doch wir nehmen uns nach 20 Jahren Rubbler-Pointen schweren Herzens vor, dass wir den Rubbler nicht mehr so nennen wollen.

Einige Tage später sind wir im Schwimmbad. Das Gespräch kommt auf L.
»Der ist mit seinen langen Armen ein prima Schwimmer«, erzähle ich meiner Frau.
»Der kann bestimmt toll Rückenschwimmen«, sagt meine Frau und grinst anzüglich.
»Auch prima einhändig«, ergänze ich.

Wie gesagt: Ich sollte mich schämen. Und ich sollte L. mal was zur Entschädigung kaufen. Vielleicht ein paar Rubbel-Lose.