30.05.12

Magdi Aboul-Kheir

Der Kampf um das Lächeln der Roswitha P.

Wer lacht, lebt. Demnach könnte man für, nennen wir sie mal, Roswitha P. einen Totenschein ausstellen. Die Sache ist aber, dass sie lebt und dass sie selbst Scheine aller Art ausstellt. Roswitha P. arbeitet in einem Schul-Sekretatriat und ist der Mensch mit der unfreundlichsten Dauermiene der Welt, vielleicht mit Ausnahme einiger Diktatoren, die freilich nicht an der Schule arbeiten. Wobei, vielleicht doch, aber das führt zu weit.

Roswitha P. kann nicht lachen. Sie kann nicht lächeln. Sie kann nicht die Andeutung eines positiven, zugewandten, netten Gesichtsausdrucks erzeugen. Andere Menschen sind in der Lage, sogar mit den Augen zu lächeln, mit dem Kinn, einige vielleicht sogar mit den Nase oder den Hüftgelenken – Roswitha P. nicht einmal mit dem Mund, mit den Lippen. Neben ihr sieht Angela Merkel noch im Wortgefecht mit der Opposition wie ein Standup Comedian aus und Annette Schavan wie Alfred E. Neumann, der Grinsepeter von »Mad«.

Betritt man mit einem freundlichen Gruß und ebensolchem Gesichtsausdruck das Sekretariat, um etwa ein krankes Kind abzumelden oder ein Formular abzuholen, blickt einen Roswitha P. irgendwo zwischen stumpfer Indifferenz (an den seltenen guten Tagen) und offener Feindseligkeit an. Gibt man einen harmlosen Kommentar über das Wetter oder das vielleicht nahende Wochenende von sich, um das Eis zu brechen, betrachtet sie einen, als ob man sie um eine sofortige Organspende ohne Narkose gebeten hätte.

Ich habe meine Kinder und deren Freunde, andere Eltern und sogar Lehrer befragt - niemand hat jemals ein Lächeln von ihr erhascht. Eine Gesichtslähmung ist aber auszuschließen: Sie kann durchaus zwischen schlecht gelaunt, schlechter gelaunt und noch viel schlechter gelaunt differenzieren.

Nun gut, sie arbeitet an der Schnittstelle zwischen gestresster Schulleitung, gefrusteten Lehrern, anstengenden Schülern und genervten Eltern - aber niemals die Mundwinkel anheben, und seien es nur willkürliche Muskelzuckungen? Sie ist wie Timm Thaler, der Junge, der sein Lachen an einen mephistophelischen Geschäftsmann verkauft hat, nur dass sie im Gegenzug nichts Vernünftiges dafür bekommen hat.

Roswitha P. ist eine schwäbische Kurzhaarträgerin mit randloser Brille und schmalen Lippen, aber auch solche Menschen sind schon lachend gesichtet worden. Und so hat sie im Laufe der Jahre meinen Ehrgeiz angestachelt, sie einmal zum Lächeln zu bringen. Früher war ich der Klassenclown, heute schreibe ich komische Geschichten, und ich kann es bei meinem humoristischen Stolz nicht auf mir sitzen lassen, Roswitha P. nicht zu einer zumindest angedeuteten amüsierten Regung ihrer Mundwinkel zu bringen.

Anfangs habe ich es damit versucht, einfach den ersten Schritt zu tun. Stete Freundlichkeit höhlt den Stein: Tagtäglich habe ich sie angelächelt mit warm-unaufdringlichem Blick und leicht angehobenen Mundwinkeln. Zurück schaut ein Gesicht wie aus Mauerwerk, aus Granit, wie aus tiefgefrorenem Kot.

Kennen Sie den? Ja, ich habe es tatsächlich mit lockeren Sprüchen versucht, mit harmlosen, aber erfolgreich erprobten Witzen.
»Treffen sich zwei Yetis. Sagt der eine: ›Du, ich hab den Reinhold Messner gesehen‹. Sagt der andere: ›Was, gibt's den wirklich?‹«
Ha, ha, ha! Nein? Nein. Roswitha P. warf mir einen Hassblick zu: »Wer ist Reinhold Messner?« Warum nicht gleich: Was ist ein Yeti?

Da muss ich an die Skiläuferin Katja Seizinger denken, der ein Fotograf einst nach ihrem Olympiasieg in Norwegen zurief: »Nun lach doch mal, du blöde Kuh!«

Soll ich eine Bananenschale auf den Boden werfen und vor Roswithas Augen ausrutschen? Funktionieren wenigstens Slapstick und Schadenfreude? Oder hält sie mir dann kommentarlos den Verbandskasten hin und ruft den Hausmeister? Oder die Polizei?

»Nur ein Lächeln, und ein Fremder wird zum Freund, und viel leichter trägt sich manche schwere Last«, singt Udo Jürgens, und der hat bekanntlich viele Damen geknackt, aber bei Roswitha P. würde auch er versagen.

Eines Tages stehe ich vor ihr, sie war ganz offensichtlich am Vortag beim Friseur. Die schwäbische Kurzhaarfrisur ist noch ein Stückchen kürzer und schwäbischer, und ein paar frische blonde Strähnen sind auszumachen. Welch Chance für eine Charmeoffensive, Udo Jürgens, steh mir bei! Ich reiße die Augen auf, kräusle die Mundwinkel und geige los: »Sie waren beim Friseur! Sieht sehr pfiffig aus. Klasse.«
Ausdruckslos starrt sie mich an, denkt wahrscheinlich, wenn sie überhaupt was denkt: Halt den Mund, Glatzkopf, was weißt du schon.

Da hätte ich doch lieber gleich zum Klassiker gegriffen: »Sie waren ja beim Friseur! Warum hat er Sie nicht drangenommen?« Ein sicherer Lacher – bei anderen zumindest.

»Ein Lächeln«, sagt der Poet, »bereichert den Empfänger, ohne den Geber ärmer zu machen«, was mich auf den Gedanken bringt, es mit Geld zu versuchen. 10 Euro für ein Lächeln. 20 Euro für ein Lachen. 250 Euro für einen tränenerstickten Lachanfall mit Schenkelklopfen. Schließlich zahlen Männer für alles Mögliche – aber nein, es geht mir nicht um einen gefälschten Mundorgasmus. Ich will ein schlichtes aufrichtiges Lächeln aus ihrem Inneren.

Bitte, bitte, lach doch mal, du blöde Kuh.

Ja, ich habe die Hoffnung, dass sie diesen Text liest und mich dann beim nächsten Treffen anlächelt. Allein, mir fehlt der Glaube.