This column's translation: »If at first you don’t succeed ...«

11.11.05

Stefan Arenz

Aller Anfang ist schwer

Florian, mein Kollege, mein Freund, starrt mich an, als sei ich verrückt: »Nudeln mit Artischockenherzen und Thunfisch? He, ich bin froh, wenn ich gekochte Kartoffeln hinbekomme!«

Mühsam versuche ich ihn davon zu überzeugen, dass Nudeln mit Artischockenherzen und Thunfisch wirklich ganz einfach zubereitet werden könnten. Kein Problem. Das Rezept wurde nämlich aus der Not heraus geboren, weil meine Freundin und ich im Urlaub in Spanien nur noch diese beiden Zutaten sowie Sahne und Nudeln zur Verfügung hatten. (Wir kamen damals im betrunkenen Zustand auf den überaus lustigen Einfall, von »Tittenfisch und Auberginen« zu sprechen, was wir bis heute beibehalten haben. Gelegentlich vergessen wir, dass nicht alle unseren kleinen Scherz kennen. Gelegentlich treffen uns im Supermarkt abfällige Blicke.)

Florian nickt zögernd: »Okay, aber was sind Artischockenherzen?«

Ich sehe ihn starr an und lasse mir nichts anmerken. Aller Anfang ist schwer, das weiß ich aus eigener Erfahrung. »Die Innereien von Artischocken.«

»Nie gehört. Wie sehen Artischocken aus, wie soll ich sie im Supermarkt finden, wenn ich nicht weiß, wie sie aussehen?«

Nun ja. Das Problem besteht darin, dass Florian noch nie in seinem Leben gekocht hat, wie er mir vor zwei Wochen munter erzählte. Noch nie. Er ist siebenundzwanzig Jahre alt, aber er hat noch nie etwas gekocht. Nicht ein einziges Mal? Nein, nie.

Ich war fassungslos. »Aber wie ernährt ihr euch denn dann?« fragte ich.

»Ganz einfach«, sagte er, »in der Woche essen wir in der Mensa und am Sonntag hat Susanne sowieso keinen Hunger, deshalb schmiere ich mir nur ein paar Brote. Funktioniert wunderbar.«

»Und abends?« Ich konnte es einfach nicht glauben.

Er blickte mich indigniert an. »Wie, abends? Wir schmieren uns Brote. Wir haben doch mittags schon warm gegessen. Kocht ihr denn etwa jeden Abend?«

Plötzlich schämte ich mich. Meine Freundin und ich kochen tatsächlich jeden Abend. Es geht uns dabei nicht primär um den Kochvorgang als solchen, denn Kochen macht zwar schon Spaß, aber das Geschnippel vorher und das Spülen hinterher nerven. Wir bevorzugen den Zeitraum dazwischen, wenn wir uns im Rausch der Sinne den lukullischen Genüssen selbstgekochter Leckereien hingeben können und so lange stopfen, bis wir stöhnend und glückselig und pappesatt auf dem Sofa liegen und uns so fühlen, als müssten wir demnächst sterben. »Ich platze«, klagt meine Freundin dann mit waidwundem Blick, und ich fühle ähnlich. Es ist wie nach einer wilden Nacht, wenn das Bewusstsein zurückkehrt und man einander mit leichter Verwunderung im Blick betrachtet: Was haben wir da bloß eben alles miteinander getan? Für intellektuell angehauchte Gemüter: Nein, wie archaisch! Trotzdem tut man es bei nächster Gelegenheit wieder.

»Ab und an kochen wir schon«, erwiderte ich schamhaft. Am Abend zuvor hatten wir gegrillten griechischen Schafskäse mit Tomaten und Zwiebeln verspeist, dazu frisches Fladenbrot. Das dicke Stück Lachs, saftig in der Pfanne gebraten, nicht zu vergessen.

»Florian ...«, keuchte ich, »wirklich nie?«

»Susanne kocht schon gelegentlich«, sagte er zögernd und schwieg. Eben wollte ich ihn nach seiner Kindheit und Jugend fragen (ich war von meinen Eltern durchaus zum gelegentlichen Kochen und Backen angehalten worden), da fiel mir sein trauriges Schicksal ein: Einzelkind. Pech.

Aber ich bin ja ein guter Mensch, und deshalb beschloss ich zusammen mit meinen Freunden, aus Florian so etwas wie ein menschliches Wesen zu machen. Wir bearbeiteten ihn so lange, bis er sich schließlich zaghaft und furchtsam entschloss, den dornigen und mit tiefen Schlaglöchern übersäten Weg der Kochkunst zu betreten.

»Ich fange klein an«, verkündete er mutig. »Morgen Mittag werde ich Pellkartoffeln kochen. Dazu gibt's leckeren Kräuterquark.«

»Heeee«, sagten wir anerkennend. »Nicht schlecht, immerhin. Kräuterquark ist ja nicht so ganz einfach.«

»Quatscht nicht«, sagte er. »Den Quark kaufe ich natürlich, bei Aldi. Aber die Kartoffeln koche ich selbst.«

Immerhin, ein Anfang war gemacht. Und er fiel nicht schlecht aus, jedenfalls war Susanne von den selbstgekochten Pellkartoffeln mit Kräuterquark hoch entzückt, wie Florian uns freudestrahlend mitteilte. In diesen Zeitraum fiel mein weiter oben bereits erwähnter Vorschlag der Eigenkomposition mit den Tittenfischen, doch Florian lehnte ab, er plante nämlich im Stillen bereits den absoluten Oberhammer: Susanne liebt süße Apfelringe, in einer Art Pfannkuchenteig fettig gebraten, und die wollte er ihr zubereiten.

Eine Woche später trafen wir ihn in der Mensa wieder. Er sah blass aus und wirkte erschöpft.

»Gestern habe ich Apfelringe gebraten«, sagte er schlapp.

»Was?« riefen wir erstaunt und erfreut. »Toll! Und, hat's geklappt?«

»Ja, schon«, sagte Florian. »Aber das war vielleicht umständlich. Im Rezeptbuch stand etwas von einer halben Stunde Zubereitungszeit. Ich hab' nach zweieinhalb Stunden immer noch in der Küche gestanden und den Teig bereitet.«

Wir blickten ihn fragend an.

»Nu«, begann er, »zuerst musste ich ja die Zutaten besorgen. Das hat schon mal ewig gedauert. Ich bin allein für die Suche nach Eischnee stundenlang durch die Regale gelaufen.«

Ich spuckte Essensreste auf mein Tablett. »Eischnee im Supermarkt?«

»Lach' nicht so. Woher sollte ich das denn wissen. Jedenfalls habe ich mich nicht getraut, im Supermarkt zu fragen, und schließlich meine Mutter angerufen und um Rat gefragt. Danach wollte ich den Teig zubereiten. Susanne hatte gesagt, wir hätten Mehl. In einer Tupperdose im Schrank fand ich weißes Pulver, unbeschriftet. Aber woher sollte ich wissen, ob das Mehl ist?«

Nun ja, dachte ich, ein Pfund Koks steht selten in einer Tupperdose im Schrank. »Also wirklich«, sagte ich frech, »und wo hat Susanne bloß die 300 ml Wasser versteckt?«

Er ignorierte mich. »Ich weiß ja nicht, wie Mehl schmeckt. Ich hab dann wieder meine Mutter angerufen und die meinte, das wäre Mehl. Das nächste Problem betraf dann wieder den Eischnee. Ich hatte die Erklärung meiner Mutter falsch verstanden und den Glibber einfach so in den Teig gekippt. Aber das zog dann komische Schlieren. Hör' auf zu lachen. Meine Mutter wollte ich nicht schon wieder anrufen, also habe ich Susannes Mutter gefragt. Die meinte, ich müsse den Glibber vorher mit dem Mixer ordentlich schlagen, dann würde daraus Eischnee. Also musste ich den Teig wegkippen und von vorne anfangen ...«

Während Florian von seinen weiteren Missgeschicken erzählte, musste ich daran denken, wie ich vor Jahren das erste Mal versucht hatte, Croissants selbst zu backen. Ich rollte die aufgetauten Blätterteigscheiben sorgsam zusammen, schob die kleinen Röllchen in den Backofen und sah während des Backvorganges begeistert zu, wie sie wuchsen und zu glänzen begannen, erst hell, dann etwas dunkler. Als ich sie schließlich aus dem Ofen holte, waren es die besten Croissants, die ich je gesehen hatte, zart gebräunt, sanft gerundet und wunderbar glänzend, wie in einem dieser Hochglanz-Backbücher. Wo war der Haken? Ich begann, das erste Croissant aufzuschneiden, um nachzusehen, ob es auch durch war. Beim Auseinanderziehen der beiden Croissanthälften fiel mir auf, dass die glänzende Oberfläche lange, spinnwebengleiche Fäden zog, die auch an dem Messer hafteten und sich meterlang aufrollen ließen. Da mir ein solches Verhalten bei Croissantoberflächen bis dato nicht aufgefallen war, ging ich der Angelegenheit auf den Grund und fand heraus, dass tiefgefrorene Blätterteigscheiben werkseitig mittels dünner Plastikfolien voneinander getrennt werden, damit sie nicht zusammenpappen.

Aller Anfang ist schwer. Doch ich verspreche, schon bald werden Florian und ich im Fernsehen auftreten, als Fernsehköche auf TM3. Ich reiche die Zutaten und Florian kocht. »Pellkartoffeln mit Kräuterquark« oder »Gebratene Apfelringe in Mehl und Eischnee«, wahlweise. Vielleicht auch »Nudeln mit Tittenfisch und Auberginenherzen« oder »Laminierte Croissants«. Das wird riesig.