08.08.04

Dominik Baur

Endlich wieder Super-GAU

Der Tag hatte so gut angefangen: Kaffee, frisches Croissant, und – das unterschied diesen Tag von den anderen: Sonne. Doch dann die Katastrophe. Gerade wollte ich mich in die Freuden des Morgens stürzen, endlich mal wieder das Leben genießen, als mich die Realität einholte, mir auf die Schulter klopfte und mir den Aufmacher von »Spiegel Online« zeigte.

Plötzlich tat sich ein großes, bedrohliches schwarzes Sommerloch vor mir auf. Nein, es war kein vorwitziger Politikervorschlag, wie wir ihn zu dieser nachrichtenstaaden Jahreszeit gewohnt sind. Nein, dieses Jahr erwischte uns das Sommerloch selbst bei 32 Grad eiskalt, schlimmer als je zuvor – an Gefährlichkeit und Dummheit höchstens noch vom gefräßigen Plapperkäfer von Traal zu übertreffen. Daß »Spiegel Online« die Geschehnisse dieses schwarzen Freitags nicht in dem ihm eigenen Stil unter der Überschrift – oder Headline, das wird Ihnen besser gefallen – Super-GAU laufen ließ, dürfte nur einen einzigen Grund gehabt haben: Dieses Mal hatte ausgerechnet das Mutterblatt, das Sturmgeschütz der Demokratie, höchstpersönlich die Katastrophe angezettelt.

»Spiegel«, Springer und »Süddeutsche« kehren also zur alten Rechtschreibung zurück – und folgen damit der »FAZ«, der »Pferdezeitung« und drei unverbesserlichen Kolumnisten von kolumnen.de. Ausgerechnet im Verbund mit dem Springer-Verlag machen Augsteins Erben der deutschen Rechtschreibung den Garaus. Schlimm, gell?

Lieber Guido! (Nein, Du dämlich grinsende Büroklammer, die Du mal wieder in Deiner keck verbogenen Art feststellst, daß ich »anscheinend einen Brief schreiben möchte«, nein, ich brauche Deine Hilfe nicht! Könntest Du Dich bitte um Deine eigenen Angelegenheiten kümmern? Schleich Dich gefälligst!)

Pardon. Also: Lieber Guido, so manche Reaktion läßt in der Tat vermuten, daß an diesem Freitag eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes eingetreten ist. Ein empörter, und offensichtlich auch etwas verstörter Redakteurskollege hastet etwa an mir vorüber und ruft: »Ich will das Deutsche Reich zurück!« Auf kolumnen.de lese ich die Befürchtung, daß nun auch Helmut Kohl wieder Kanzler werden könnte. Und Helmut Markwort gibt zu bedenken, daß es in Deutschland doch größere Probleme gebe.

Aber stellen wir uns doch einen Moment vor, Döpfner, Aust und Kilz seien nicht nur ewiggestrige Reaktionäre. Stellen wir uns vor, es wäre keine Geschmacklosigkeit, sich um kleine Probleme zu kümmern, wenn es auch große gibt. Nehmen wir – nur für einen kurzen Augenblick, rein hypothetisch – an, der Hunger der sudanesischen Flüchtlinge im Tschad würde um keinen Deut schneller gestillt, die Arbeitslosigkeit in Deutschland würde ebenfalls nicht schneller sinken, wenn sich Menschen, denen die deutsche Sprache besonders am Herzen liegt, mit einem so banal erscheinenden Thema beschäftigten wie der Rechtschreibung.

Daß es für diese Leute tatsächlich keineswegs banal ist, liegt daran, daß die Sprache für sie mehr ist als nur ein Vehikel zur Kommunikation. Wäre es nur das, so könnte man die Rechtschreibung in der Tat regeln wie den Straßenverkehr. Dann könnte ein neues Regelwerk aufgestellt werden, das sich ausschließlich nach den Gesetzen der Logik richtet. Dann wäre es natürlich unabdingbar, daß Fluss und Fuß unterschiedlich enden (wie freilich auch die Mass, die mir von der anti-bajuwarischen Rechtschreibprüfung von Word natürlich prompt rot unterringelt wird, und das Maß). Eine Notwendigkeit, auch Fuß und Mus unterschiedlich zu schreiben, bestünde hingegen nicht. Überhaupt stellte sich dann die Frage, wieso wir einmal einen Vokal mit einem »h« dehnen, das andere Mal mit einem »e« und das dritte Mal ganz ohne Folgebuchstabe. Logik? Sie gehört in den Mathematikunterricht, nicht in die Deutschstunde.

Ginge es nur um eine reibungslose Kommunikation, das zeigt jede E-Mail und jede SMS, ist Orthographie nicht notwendig, und Stiduen hbaen onhehin lnägst egreben, dsas es für die Lseefhäigkiet des Gherins eagl ist, in wlehcer Reiehnfogle die Bchusteabn in Wöretrn vokrmomen.

Sprache – ja, auch die geschriebene Sprache – ist mehr als ein bloßes Kommunikationsmittel. Sie ist ein wertvolles Kulturgut. Sicher, nicht allen ist sie als solches wichtig. Für viele dient sie nur der Verständigung, ihre kulturelle Bedeutung ist für sie so wichtig wie für andere die Oper. Mir sind Arien so sympathisch wie sprechende Büroklammern, und doch trete ich dafür ein, viel Geld für den Erhalt von Opernhäusern auszugeben – obwohl, Herr Markwort, es wichtigere Probleme in Deutschland gibt.

Rechtschreibung ist kein Korsett, dem es lediglich darum geht, mit der alten, uns Deutschen gerne nachgesagten Regulierwut die schriftliche Kommunikation zu vereinheitlichen. Ihr Bestreben ist es auch nicht, Kultusministern und Lehrern das Leben leicht zu machen. Sprache und Rechtschreibung leben und ändern sich, und die Aufgabe des Dudens war es früher, diesen Wandel zu dokumentieren und nachzuvollziehen, nicht ihn von oben zu regulieren.

Genauso wenig freilich wird das »Bild«, »Spiegel« und Co. gelingen. Stellt sich in ein paar Jahren heraus, daß die Mehrzahl der Deutschen nicht mehr glaubt, ein Känguruh brauche hinten ein »h« so dringend wie vorne einen Beutel, sondern sich mit Georg Danzer auf Guru-Suche begibt, und einen Delphin mit »f« viel stromlinienförmiger findet, dann werden diese Schreibweisen ein flauschiges Plätzchen in der deutschen Orthographie angeboten bekommen. Ob »allein stehende Dienst habende« ebenso erfolgreich sein werden, bleibt abzuwarten. Denkbar und vielleicht nicht das Dümmste wäre auch, wenn die Verlage und Nachrichtenagenturen sich vor einer anstehenden Rückkehr zur alten Rechtschreibung darauf einigten, die weitgehend akzeptierte neue »ss«-Regel beizubehalten, die ohnehin die meisten Änderungen in einem Text ausmacht.

Immer noch Gestrige, mein lieber Guido, nennst Du die (oder zumindest einige) Gegner des vor fünf Jahren flächendeckend eingeführten neuen Regelwerks. Doch dürfte die Mehrzahl von ihnen das Neue nicht aus Angst vor dem Fortschritt oder aus Bequemlichkeit ablehnen. Bequemer wäre es für die meisten beruflich Schreibenden ohnehin, an der Reform festzuhalten. Schließlich haben auch sie sich bereits an das verordnete »dass« statt des »daß« gewöhnt.

Auch Deine These, die Verwirrung sei vor allem von denjenigen gestiftet worden, die nach der alten Rechtschreibung weitergeschrieben hätten, dürfte einer Überprüfung nicht standhalten. Vielmehr war es der ständige Unmut derer, die nach den neuen Regeln schrieben, aber sich über sie ärgerten oder mit ihnen nicht zurechtkamen, der verhinderte, daß sich die Reform durchsetzte. In den vergangenen fünf Jahren hat sich außer bei einer Handvoll Elfenbeinturmbewohnern eine solche Unsicherheit breitgemacht, daß auch die Freunde der alten Rechtschreibung längst nicht mehr firm darin sind.

Ich jedenfalls will mich nun gemütlich in einen Liegestuhl setzen, einen Dalmatiner mit Schreibschwäche streicheln und mit ihm darüber diskutieren, ob man sich in einen Liegestuhl überhaupt setzen oder sich nur hinein legen kann und warum Liegestühle für Hunde einer gewissen Größe ohnehin sehr unpraktisch sind. Derweil werde ich die Rechtschreibdogmatiker beider Seiten beobachten, wie sie sich mit verbissenem Gesichtsausdruck und Cocktailkirschen bewerfen, und mit Wohlwollen der deutschen Sprache zusehen, die leichten Fußes und lächelnd über mich, den Dalmatiner und die Sprachbürokraten hinwegsteigt, lebt und uns allesamt überlebt.

Daher werde ich jetzt schließen. Die Sonne scheint. In dieselbe möchte ich nun hinaustreten und meiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen, in der mir – das möchte ich nicht ohne Stolz hinzufügen – einiges Talent nachgesagt wird: Ich werde schweigen.