15.04.03

Dominik Baur

Frühstück ohne Tiffany (Teil 2)

»Egal. wir fahren trotzdem«, sagte Tiffany. »Wir drehen einfach die Uhr um anderthalb Jahre zurück.«
»Wie bitte?«
»Na, was ist? Willst Du nun mit mir nach Prag fahren oder nicht?«
Natürlich wollte ich. Mit ihr wäre ich nach Kandahar gefahren oder in die hintere Mongolei; vielleicht sogar nach Pinneberg. Aber die Uhr zurückdrehen? Wie stellte die Frau meiner schlaflosen Träume sich das vor? Jetzt, wo wir mit leerem Schaukasten dastanden ...

Foto (Fifth Avenue)

Ein Penthouse in der Fifth Avenue, ...

Foto von Dominik Baur

»Wann«, fragte ich und bemühte mich, all diese Zweifel zusammen mit der Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest ins Timbre meiner radschlagenden Stimme zu legen. Ich machte mich bereits auf die Antwort »42« gefaßt, worauf ich Tiffany mindestens zehn Minuten lang mit meinem gesamten Wissen über Arthur Dent und Fenchurch zugetextet hätte, was ihr die Möglichkeit gegeben hätte, Prag zu vergessen.
Doch dummerweise antwortete sie:
»Jetzt. Sofort.«
»Aber, Tiff, das geht doch nicht.«
»Wieso nicht? Es gibt bestimmt einen Nachtzug. Zum Frühstück sind wir in Prag.«
»Meinst Du wirklich? Ich hab' noch nicht mal eine Zahnbürste dabei.«
Sie tröstete mich. Sie habe sich sagen lassen, seit dem Fall des Eisernen Vorhangs gebe es jetzt auch Zahnbürsten in Tschechien zu kaufen – zumindest in den großen Städten. Und überhaupt, ich solle mich nicht so anstellen.
Ich brachte mal wieder meinen üblichen Spruch an, jeder solle das tun, was er am besten könne, und das sei in meinem Fall nun mal, mich anzustellen.

Wenn das so sei, schaute sie mich mit ihren wunderschönen markstückgroßen Kulleraugen an – im unschuldigsten Nichtbewußtsein, daß »anschauen« nun wirklich kein Verb des Sagens ist, dann könne ich mich ja eben so gut hier am Schalter anstellen und zwei Fahrkarten nach Prag kaufen. Sie würde uns inzwischen noch etwas Reiseproviant besorgen. Gab mir einen feuchtzwinkernden Kuß und zog von dannen.

Ich stellte mich also an und kaufte die Tickets. Von einem Sonderangebot für Ostern 2000 wußte die Dame am Schalter nichts; ich könne aber mit dem Lila-Laune-unter-der-Woche-Angebot einen Hund zum Preis eines halben Kindes in Begleitung eines erwachsenen Studenten mitnehmen. Ich wußte nicht, wo ich jetzt auf die Schnelle einen Hund hernehmen sollte, und beließ es bei den beiden Fahrkarten.

Tiff sah ich nie wieder. Wie ich später erfuhr, war sie in der Bahnhofsbäckerei Woody Allen begegnet, der ihr sofort eine Hauptrolle in seinem nächsten Film und ein Penthouse in der Fifth Avenue versprach. Mit ihm und meinem Sandwich (Käse und Salat) brannte sie dann durch. Die Tickets drückte ich einem verdutzten Junkie auf dem Bahnhofsvorplatz in die Hand, den Film hab ich mir später angesehen – »Manhattan« war besser.

Foto (Woody Allen)

... würden Sie sich von diesem Mann ein Penthouse in der Fifth Avenue schenken lassen?

Foto von Dominik Baur

Okay, okay, ich geb's ja zu: Die Wirklichkeit war natürlich – wie immer – weniger spektakulär. Sollte Ihnen irgendwer einmal erzählt haben, das Leben schreibe die besten Geschichten, vergessen Sie's! Das Leben ist stinklangweilig, die besten Geschichten schreibt Astrid Lindgren. Wie auch immer: In Wirklichkeit gab es natürlich weder den Bahnhofsbäcker, noch Woody Allen, und auch der Junkie war nicht verdutzt, sondern erfunden. Verbockt habe ich die Sache, weiß Gott, alleine. Einfach so in den Zug steigen, ganz ohne Plan und Zahnbürste – ich weiß nicht. Ich bin halt nicht so der spontane Typ. Ich überredete Tiff also, nichts zu überstürzen, wenigstens noch eine Nacht darüber zu schlafen.

Das tat sie dann auch; und am nächsten Morgen verließ sie mich. Ohne Woody Allen, dafür mit lautem Türengeknall. Mit den Wohnungsschlüsseln schmiß sie mir noch einiges andere an den Kopf, was ihr seit langem auf dem Herzen gelegen haben muß: So etwas Langweiligem wie mir sei sie nicht mehr begegnet, seit ihr Meerschweinchen Oskar unters Dreirad ihres Bruders gekommen sei, ich besäße nicht für eine Lira Spontaneität und außerdem sollte ich mir bloß nicht einbilden, daß sie während unserer Beziehung auch nur einmal einen Orgasmus gehabt hätte. Was für ein Abgang! Unten auf dem Trottoir angekommen, klingelte sie noch einmal sturm und schrie in die Gegensprechanlage: »Und wenn doch, dann bestimmt nicht von dir!«

Ich sah sie nur ungern ziehen. Wir hatten schließlich so gut zueinander gepaßt. Sie lebt jetzt mit einem böhmischen Zahnarzt zusammen und hat drei Kinder. Drillinge. Das gönne ich ihr.

Und ich sitze hier. Allein. In diesem norditalienischen Kaff, das eigentlich Prag sein sollte, und mit ungeputzten Zähnen. Das ist wieder typisch für mich. Nur weil ich einmal in meinem Leben etwas Unüberlegtes tun wollte und mich eben, ganz spontan, in einen Zug gesetzt habe – in den falschen natürlich. Eines steht fest: Nächstes Jahr fahre ich woanders hin. Prag wird ohnehin maßlos überschätzt. Habe ich nicht recht, Signora?