Wer wühlt denn da am aprilfeuchten Samstag mit gelben Handschuhen und blauem Müllsack am Hosenbund im Fahrbahnrand? Ach – ich bin's ja selbst: bei »Hamburg räumt auf«. Dabei wollte ich doch nur meine Pflichtstunden für die Gemeinschaft des Kleingartenvereins ableisten, Kieswege saugen, vorwitzige Hagebutten in ihre Schranken schlagen – aber nein: Heute verdonnert der Vorstand seine Mitglieder dazu, unserer Stadtreinigung unter die verschwitzten Arme zu greifen. Einmal im Jahr wird die nämlich der verstoßenen Kaugummipapierchen und Chipstüten auf öffentlichem Grund doch nicht mehr alleine Herr, deshalb rotten sich in jedem Stadtteil Hamburger Bürger zusammen, um Grünstreifen zu durchforsten und den Forst zu durchstreifen nach allem, was keine Wurzeln hat. Einfach so, ohne Tarifvertrag. Ganz umsonst, aber nicht vergebens, wie es so schön heißt. Vielleicht für Glück und Reichtum im nächsten Leben. Oder damit man mal erfährt, was die Jungs in Orange alles aufsammeln müssen, den lieben langen Tag. Man könnte damit auch den Marktführer der Schokoriegel und Softgetränke bestimmen. Echte Feldforschung sozusagen.
Ich streife deshalb nicht ohne Neugier durchs Unterholz. Es kommt schon was zusammen. Gegenüber dem Vereinshaus tut sich ein wahres Nest von leeren Sektflaschen auf, dazwischen auch Wodka, weich gebettet im Giersch. Zum Glück keine Scherben. Hier wieder zerknüllte Taschentücher. Ich will gar nicht darüber nachdenken, wofür die benutzt wurden. Der Pappbecher einen Meter weiter enthält leider kein Regenwasser, das riecht anders. Mir wird übel, aber ich fasse mich. Drei Jahre Windeln Wechseln, das härtet ab. Und die Zeiten, in denen Frauen sanft aufgefangen wurden, die auf dem Trottoir ohnmächtig wurden, sind ja lange vorbei.
Nun sammele ich schon zum vierten Mal eine kleine Glasflasche auf aus der Familie der Quengelware für Erwachsene, Sie wissen schon, Kassenzone. Für die Puppenstube zu groß, für den Angelausflug zu klein. Aber anscheinend genau richtig für die Fahrt von Bargteheide nach Poppenbüttel. Kirschwasser, Küstennebel, Wodka, Jägermeister. Und alle haben etwas gemeinsam: Sie sind leer – aber verschlossen. Warum? – Wieso macht sich ein Mensch die Mühe, ordentlich den Deckel auf seine leer getrunkene Magenbitterflasche zu schrauben, wenn er sie anschließend ganz unordentlich in die Natur wirft? Um die Wertstofftrennung zu sabotieren (»Glas und Blech trennen? Viel Spaß dabei!«)? Weil sie geheime Botschaften Auto fahrender Alkoholiker sind, so wie die Wegelagerer geheime Kreidezeichen an die Häuser malten (»Hier keine Straßenkontrolle – Prost!«)? Damit wir trotz Empörung Nachsicht mit den Tätern haben (»Er ist zwar ein Umweltverschmutzer, aber man kann ihm nicht nachsagen, er sei schlampig.«)? Oder ist es eine krude Form von Tierschutz (»Damit keine unschuldigen Marienkäfer hineinkrabbeln und qualvoll an Alkoholvergiftung krepieren«)?
Ich könnte eine Befragung starten. Ich könnte tiefenpsychologisch ergründen, ob diese Menschen frühkindliche Traumata erfuhren, die mit Schraubverschlüssen einhergingen. Ich könnte es als Thema einer Doktorarbeit verwursten. Ich könnte meine Erkenntnisse der Marktforschung verkaufen. Stattdessen verbringe ich mit anderen Akademikern meinen kostbaren Samstagvormittag in einem vermüllten Grünstreifen im Hamburger Osten. Wodka, Jägermeister, Rotkäppchen, Orbit ohne Zucker. Das kann nur gut fürs Karma sein.
Ordnung muss sein, auch bei der Umweltverschmutzung. Deshalb wird der Deckel vorher aufgeschraubt.
Foto von Nicole Franz