04.12.07

Wilhelm Ruprecht Frieling

Kurze Philosophie des Glücks

In einer von der plötzlichen Leere des Nichts beflügelten Laune will ich heute dem Alltag einen Satz entreißen, der kennzeichnend steht für den Gagaismus unserer Zeit. Gaga-Sätze werden uns an jeder Ecke um die Ohren gehauen und verwüsten unsere Sprache. Meist stammen sie aus dem Starkdeutsch der Werbetexter, es sind so genannte Werbeclaims, und ich gestehe: in meiner beruflichen Laufbahn schoss ich auch schon mal mit einem Dampfhammer Werbesprüche ins Hirn mancher Empfänger.

Jüngst reiste ich durch Bautzen, jene betuliche Kleinstadt in der schönen Oberlausitz, die durch die 1904 fertig gestellte Landesstrafanstalt »Gelbes Elend« berühmt-berüchtigt wurde. Dort lockt ein »Kaufland«, sich mit Dingen des täglichen Bedarfs einzudecken. Gleich neben der »Ein-Euro-Quelle« lungern paffende Berufsjugendliche in »Deutschland lebt«-T-Shirts. Auf den in den Kniekehlen hängenden Hosenböden kleben Losungen koreanischer Kung-Fu-Kämpfer. Leider kann ich deren Kampfrufe nicht wiedergeben, mir fehlen entsprechende Sprachkenntnisse. Es wäre allerdings schon lustig, zu erfahren, was auf diesen Hosen steht. Die Knaben, die darin stecken, wissen es garantiert nicht.

Im benachbarten »Family-Shop« durchpflügen Damen mit lilafarbenen Haaren Tröge mit Sonderangeboten. Ihr im Solarium uringelb gebrutzelter Teint könnte die Krebshilfe zu einem Sondereinsatz motivieren. Vielleicht bietet der Shop aber auch entsprechende Heilsalben und Tinkturen? Der Laden verführt nämlich ohne Punkt und Komma mit dem großspurigen Versprechen »Alles was das Leben schöner macht«. Das wird bestimmt auch Auswirkungen auf die Schönheit der Käufer haben.

Übergewichtige Kids stillen sich derweil mit den zuckrigen Auslagen vom »Sternenbäck«, der mit dem Slogan »Gut drauf und lecker« die Ausschüttung von Glückshormonen durch Zuckerwerk verspricht. Ältere Männer in befleckten Jogginghosen und ausgetretenen Turnschuhen löffeln eine heiße Suppe beim »Wursthorst« und schimpfen auf die Regierung der blühenden Landschaften. Ein Schild wirbt für »Wurst, die immer wieder so wie früher schmeckt«. Zur Stärkung genehmigen sich die Kerle einen kräftigen Schluck aus einer Taschenflasche, auf der »Der Korn macht ihn kernig« steht.

Alle strömen ins »AWG-Modecenter«. Dort haust der selbst ernannte »Erfinder des Einkaufsglücks«. »AWG« bedeutet »Alle werden glücklich« und zwingt mich zum sofortigen Eintritt, denn ich kann eine Portion Glück bestens brauchen. Die Glücksschmiede ruft mit einer Symphonie knallroter Deckenhänger und Stoppschilder. Hundertfach wird darauf bestätigt: »Der Preis stimmt«. Will das Kleiderparadies damit behaupten, dass in anderen Läden der Preis fehlerhaft ist? Herrscht eine babylonische Preisverwirrung, die jetzt endlich durchbrochen wird? Oder möchte der Slogan ausdrücken, dass die Ware ausnahmsweise mal korrekt ausgepreist ist?

Fragend schaue ich auf die im Laden werkelnden Praktikantinnen, die in Kyrill das Wort »Kasachstan« auf dem Rücken ihrer T-Shirts tragen. Sie dürfen sich zwar »Fashion Team« nennen, doch ob sie die philosophische Tiefe der AWG-Philosophie erahnen? Jedenfalls verfüge ich endlich über eine prägnante Definition von Glück: Glück bedeutet, alle möglichen Waren zum »Preis, der stimmt« kaufen zu können. Wie habe ich mich immer schwer getan zu erklären, was ich unter Glück verstehe ... und diesen philosophischen Schatz bringe ich von einem Ausflug nach Sachsen mit nach Hause. Das ist nahezu göttlich. Danke, AWG!

Auf der Zufahrt zur Autobahn stauen sich LKW-Kolonnen, die wie Elefantenherden aus Polen, Tschechien und Russland heranziehen, um sich in den Weiten des Landes zu entladen und Glück zu bescheren. Das Autoradio fleht: »20.000 Quadratmeter Parkett suchen ein neues Zuhause«. – Aber da muss man doch einfach helfen! Ob wir im Keller noch ein trockenes Eckchen frei haben für eine Palette obdachloses Laminat und es damit zum glücklichsten Parkett der Welt machen?