08.02.08

Wilhelm Ruprecht Frieling

An den Pforten der Unsterblichkeit? oder:
Wohnen unter Bäumen

Es gibt einen Mietnomaden, den jeder Hausbesitzer fürchtet: das ist die Familie Leerstand. Der Immobilienmarkt in Deutschland ist zwar angeblich im Aufwind. Das verkünden zumindest Banken und Makler, und die müssen das wissen, denn sie profitieren davon auch am meisten. In Berlin hausen die Leerstands jedoch inzwischen auch in besten Wohnlagen.

In nahezu jeder Straße der Hauptstadt haben Herr und Frau Leerstand einen Unterschlupf gefunden. Mehr als 100.000 Wohnungen in allen Bezirken der Metropole stehen leer und befinden sich in den Händen der Sippe derer von Leerstand. Im Deutsch der Werbepoeten heißt das dann übrigens, es handele sich um eine »entspannte Situation auf dem Wohnungsmarkt«.

Für Entspannung meiner Lachmuskulatur sorgte jüngst ein Werbeschild, das sich mir beim Spaziergang zum Frühlingserwachen im sonnigen Berliner Südbezirk Zehlendorf vor die Kamera warf. »Stilvolles Wohnen unter alten Bäumen« wird dort von findigen Maklern offeriert. Die Bestatterinnung dürfte ihre helle Freude an diesem Angebot haben: Geboten wird ein individuelles Domizil, 180 Zentimeter tief unter der Rasensode, schlicht aber funktional möbliert. Darüber wiegen alte Bäume ihre Zweige im Wind ...

Foto: »Stilvolles Wohnen unter alten Bäumen«

Foto: Wilhelm Ruprecht Frieling

Herrlich! Genau so stelle ich mir ein friedliches Ende vor: stilvoll begraben unter alten Bäumen. Dieses finale Domizil hat etwas Hobbithaftes, und dürfte sich als Wohntraum neben Max Maulwurf und Wanda Wühlmaus, bei Egon Engerling und Martha von Made realisieren.

Im Sinne einer modernen Begräbniskultur und im Zeitalter des nahezu unbegrenzten Wissenstransfers möchte ich aber mein Feierabendheim auch individuell markieren: Es soll ein tonnenschwerer märkischer Findling darüber gewälzt werden. Das hätte den Zusatznutzen, dass mich keine hungrigen Wildschweine aus dem nahe gelegenen Grunewald ausbuddeln und meine Überreste als Dessert verputzen können.

Auf dem Namensschild am Hinkelstein wird dann zusätzlich zu den üblichen biographischen Eckdaten die Adresse meiner Homepage eingehämmert werden. Ich stehe nämlich nicht allein mit der Auffassung, dass auf Grabsteinen künftig einiges mehr an Informationen zu finden sein sollte als bisher üblich. Wir erleben schließlich die Geburtsstunde des Grabsteins 2.0. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass neben dem Namen und den technischen Daten desjenigen, der dort unter alten Bäumen logiert, auch seine Domain eingraviert ist. Die persönliche Adresse im Web wird damit zum Schlüssel zum ewigen Leben.

Der sonntägliche Spaziergänger kann sich künftig bequem vor Ort per Mobilfon ins Internet einwählen und dort alles über den stilvoll unter Bäumen ruhenden Restposten erfahren. Auf lustigen YouTube-Videos winkt ihm der Verstorbene dann putzmunter entgegen. Podcasts machen seine Stimme unsterblich, und er wirft mit Texten, mit denen er bereits seine Leser traktierte, als er noch auf statt unter der Erde wandelte und alte Damen erschreckte.

Das Web macht die kühne Vision endlich wahr und öffnet die Pforten der Unsterblichkeit. Während der Autor stilvoll unter alten Bäumen ruht, spielt sein Web-Theater für ihn unermüdlich rund um die Uhr und singt ihm ein Hohelied. Es sei denn, er hat zu Lebzeiten vergessen, anfallende Gebühren im Voraus zu bezahlen ...