09.02.07

Wilhelm Ruprecht Frieling

Kackwürste mit Kosenamen

Als mein Vater auf die glorreiche Idee kam, meinen Schulranzen mit einem Namensschild zu verunzieren, um die Unverwechselbarkeit des Tornisters seines Erstgeborenen zu dokumentieren, schlug die Sternstunde meiner damals bereits lesekundigen älteren Mitschüler. »Wilhelm Ruprecht Frieling« prangte auf dem Schildchen, und es dauerte nicht lang, da wurde der ABC-Schütze »Knecht Ruprecht« zum Gespött des Schulhofes. Der Geistesblitz des Bösen durchfuhr einige meiner Schulkameraden, und sie ließen mich mein Anderssein laut und deutlich spüren. Kinderseelen reagieren empfindsam, ich wollte jedenfalls nicht täglich aufs Neue gefragt werden, wo denn meine Rute stecke und sehnte mich nach Normalität und dem Eintauchen in der Masse derer von Otto, Karl und Paul, die mir unbeschwert und glücklich schienen.

»Warum heiße ich nicht schlicht und einfach Fritz, Willi, Klaus oder Günther wie all die anderen?«, jammerte ich verzweifelt und hoffte auf ein Wunder. Doch ein Name lastet lebenslänglich auf seinem Träger, und meine Eltern zeigten keinerlei Neigung, ihren für mich furchtbaren Fehler wieder gut zu machen. Auch der Hinweis, dass mein Name »von glänzendem Ruhm« bedeute, stimmte mich wenig versöhnlich. Heute bin ich eine krumme Eiche, weil ich den Ranzen nicht auf dem Rücken trug, sondern verschämt am Boden schleifte, damit das Schild verdeckt war. Es sollte Jahre dauern, bis ich meinen Vornamen positiv annehmen konnte.

Der Name eines Kindes spielt für sein Selbstvertrauen und sein Heranwachsen eine größere Rolle, als sich viele Eltern in der Begeisterung der Geburtswehen vor Augen führen. Sonst würden sie kaum ihrem frisch geschlüpften Nachwuchs Namen verleihen, bei denen Zuhörer schon im Vorfeld dreimal nachfragen und dann immer noch verständnislos den Kopf schütteln. Denn was wird mit Cindy, Zamantha, Schermain, Shanice, Shakira und Chayenne, die bald voller Freude die Schulen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stürmen? Paaren sie sich später einmal mit Lee Oswald, Wilson Gonzalez, Jimmy Blue, Caglar oder Tammo, und werden sie ihre gemeinsamen Kinder dann vielleicht nach populären Internet-Spielfiguren benennen? Haben die kleinen Kackwürste mit den geheimnisvollen Namen auch nur den Hauch einer Chance, in Kindergarten und Schule weder ausgelacht noch schikaniert zu werden? Können wenigstens ihre Großeltern die Namen aussprechen, statt sie sich auf Spickzettel schreiben und hervor ziehen zu müssen, wenn die Namen der Enkel erfragt werden?

Vornamen spiegeln seit jeher Wellen nationalen Bewusstseins, aktueller Moden und Trends sowie mediale Wellen: Vorväter hießen ihre Brut Adelheid, Johann und Kunigunde. Die Generation der kaisertreuen Großväter bevorzugte Wilhelm, Eitel und Franz-Josef. Gerne wurde zu Adolf, Hermann und Eva gegriffen. Die Italienwelle der Sechziger Jahre schwemmte Adriane, Marina, Camillo und Bianca ins Land. Im Zuge der Europäisierung der Namensgebung folgten Roger, John und Chantal. Die vom Schwedenpunsch angetörnte IKEA-Generation produzierte im Selbstbausatz Kirsten, Torben, Birte, Inga, Lars, Gunnar und Björn. Esoterisch angehauchte Multikultis wählten Santosh, Miriam und Melinda. Für alle gilt: Nomen bleibt Omen – ein langes Leben lang!

Der besondere Vorname ist offenbar das Einzige, das viele junge Eltern ihrem Nachwuchs noch mit auf den Weg geben können. Dabei soll der Vorname Sprungbrett sein: ein Hauch von Besonderheit, eine Aura des Erfolgs soll den kleinen Kackern als Startkapital dienen, und sie vielleicht selbst eines schönen Tages ins Fernsehen katapultieren. Der derzeitige Trend, Kindern Namen im Fernsehformat zu geben, die kaum einer zweifelsfrei schreiben oder nur aussprechen kann, entspringt der einzigen Möglichkeit, der einer Schicht, der weder Bildung noch Vermögen gegeben ist, offen steht. Deshalb wählen immer mehr Deutsche TV-Vornamen, die sie beim täglichen Medienkonsum entdecken.

Inzwischen sind es »anglo-amerikanische« Namen, mit der die süßen kleinen Pupsmäuse beschildert werden. Die aktuellen Vornamen sind dem einzigen Bereich entlehnt, den die Eltern in- und auswendig kennen: das ist das tägliche Fernsehprogramm. Aus dem Graupelputz von Fernsehansagerinnen und Popstars werden Leitbilder ausgewählt, und die Kinder erhalten ihre Namen. »Wie kommst Du in alles auf der Welt auf Schermain?«, frage ich eine junge Mutter, die mich darauf glücklich anstrahlt und etwas von einer Vorabendserie mit Bill Cosby erzählt, bei der eine Dame gleichen Namens auftrete. Das habe ihr gefallen, und die Schreibweise hätte sie auf einer Fanseite im Internet gefunden. Dem gegenüber stehen in unserer Zweiklassengesellschaft diejenigen Eltern, die ihre Kinder klar vom Nachwuchs der Unterschichten abgrenzen wollen und wieder auf klassische Namen setzen: so werden auf den Gymnasien der Zukunft künftig verstärkt die »Alphatiere« Karl-Friedrich, Charlotte und Elisabeth aufgerufen werden, während sich die »Sozialamöben« mit den TV-Namen an den Hauptschulen balgen.

Ein Vorname sagt mehr als tausend Worte. Er verrät etwas über Alter, Religion, Herkunft und sozialen Hintergrund. Manchmal ist er sogar Bekenntnis. Der Schriftsteller Carl Zuckmayer nannte seine Tochter Winnetou, um sich mit dem seinerzeit in der öffentlichen Kritik stehenden Abenteuerschriftsteller Karl May zu solidarisieren. Bei Caglar und Schermain wird die Ableitung einmal wesentlich komplizierter werden. Über die späteren seelischen Leiden der vom kurzlebigen Namensgeschmack benannten Zeitgeistkinder lässt sich jedenfalls nur spekulieren.

Da heiße ich dann doch lieber weiterhin Wilhelm Ruprecht, und schicke meinen Eltern noch ein Dankeschön in die Ewigen Jagdgründe, dass sie mich nicht stärker leiden ließen.