12.09.07

Wilhelm Ruprecht Frieling

Ich kaufe mir ein wildes Tier!

»Kinder sind nur ein Ersatz für Leute, die keine Tiere haben«, raunt mir die junge Frau zu, neben der ich vom Lebenskampf erschöpft auf einer Parkbank Platz nehme. Zutraulich kraule ich ihren Affenpinscher, der aufgeregt an meinem Hosenbein schnüffelt und denke über diesen tief schürfenden Gedanken nach. Bislang dachte ich, Tiere seien ein Ersatz für Kinder. Dabei ist es in Wahrheit umgekehrt: Kinder werden von denjenigen gehalten, die sich kein Tier leisten können!

Wenig später nehme ich bei meinem Figaro Platz. Ein Lisztaffe turnt durch den Salon. Der Meister hantiert kunstfertig mit Kamm und Schere an den Resten meiner Beatlesmähne. Sein tierischer Sohn schwingt sich derweil mit seinen langen, weißen Haaren von Perücke zu Perücke und glaubt sich wohl im heimischen Urwald. Nun, der Haarkünstler ist schwul, in diesen Kreisen kommen Kinder selten vor. So wundere ich mich nur wenig über den Krallenaffen, der eigentlich in Kolumbien lebt und zu den stark gefährdeten Tierarten zählt.

»Kann ich morgen bei Dir mal baden«, fragt mich ein Freund. »Deine Wanne ist wohl kaputt«, antworte ich leichthin. »Nö, der Sunda-Gavial, den wir gekauft haben, lebt jetzt darin. Es wächst täglich, und wir wissen nicht mehr, wohin mit dem Vieh.« Der gute Mann hat sich eine mächtige Panzerechse angeschafft und dabei übersehen, dass der scheue Sumpfbewohner fünf Meter lang und in einer Badewanne kaum ideale Lebensbedingungen finden wird. Aber er besitzt immerhin ein echtes Krokodil, das er aus sicherer Entfernung studieren und seinen Gästen vorführen kann!

Einen anderen Bekannten hingegen werde ich kaum noch einmal besuchen. Er hat sich in Vogelspinnen verliebt. Nicht, dass er einem Biss seiner haarigen Pfleglinge erlegen wäre ... Ich fühlte mich einfach bei meinem letzten Besuch extrem unwohl, weil die Viecher aus ihrem Glaskasten zu mir auf das Sofa krochen und mich giftig belauerten. Als ich wieder daheim war, musste ich mein von Angstschweiß getränktes Hemd wechseln und träumte von den Widerlingen.

Als hätten wir sonst keine Sorgen: aber die Haltung von ungewöhnlichen Tieren ist modern. Hund, Katze oder Goldfisch besitzt jeder Hanswurst. Aber ein Chamäleon, eine Tarantel, einen Lear-Ara oder eine Königskobra im Wohnzimmer zu halten, das macht Eindruck! Wenn die Tiere sogar vom Aussterben bedroht sind, wird es erst richtig interessant. Dann kann man mit seinem Baby angeben und spannende Anekdoten erzählen, wie es gelungen ist, das lebendige Spielzeug zu importieren.

Foto: Chamäleon

Bergchamäleon

Foto: Benjamin Klingebiel unter cc-by-sa-Lizenz

Ich hätte zum Beispiel liebend gern einen Drachen. Ich wünsche mir ein Fabelwesen aus versunkener Zeit. Mit dem Lindwurm würde ich über die Wolken fliegen und mich unbesiegbar fühlen. Ich suche ein Furcht erregendes Ungeheuer, das tödliches Feuer spuckt und Furcht und Schrecken verbreitet. Ob es derartiges gibt?

In grauer Vorzeit betrat der kleine Tierfreund ein Zoogeschäft, das er bald darauf mit einer weißen Maus wieder verließ. Heute sind die wilden Tiere nur einen Mausklick weit entfernt: www.enimal.de schlägt mir aktuell 23.577 verschiedene Tiere vor, die ein Zuhause suchen. Darunter sind Hunde, Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen, Nager, Kleintiere, Fische und Vögel.

Beim Suchbegriff »Drache« werden mir possierliche Meerschweinchen angeboten. Das trifft es eher nicht, lediglich der Anbieter trägt den Begriff im Namen. Bei der Suche nach »Lindwurm« wird ein ausgedienter »Teutonenhund« präsentiert, das geht allerdings deutlich an meinen Vorstellungen vorbei.

Hurra! Die Wunderwelt des Netzes macht Träume wahr. Für nur 39 Euronen käme ein »Flugdrache« ins Haus. Das angebotene Exemplar stammt aus dem tropischen Regenwald, und es sieht Furcht erregend aus. Der Drache besitzt einen flachen Rückenkamm und orange gefärbte Flankenhäute. Genau so stelle ich mir ein ideales Reittier vor!

Der Verkäufer erklärt, dass Draco volans an ein Leben an Bäumen bis zwanzig Meter Höhe gewöhnt ist. Kein Problem, im Garten steht ein Apfelbaum, den kann er exklusiv nutzen. Der Garten soll ihm Start- und Landebahn sein! Leider wird das Tier, ich lese schließlich auch das Kleingedruckte, bevor ich »Kaufen« drücke, nur zwanzig Zentimeter lang. Das ist ja ein mickriger Hänfling! Wie soll ich auf dem Minimonster reiten oder stolz durch die Lüfte segeln? – Klick weg, den Dreck!

Ein Dank an den Erfinder der Suchmaschinen! Schon lacht das nächste Angebot! Aus »beziehungstechnischen Gründen« wird ein Schwarzkehlwaran abgegeben. Das klingt super! Der Waran ist bereits 120 Zentimeter lang und »sehr kräftig in seiner Statur, dennoch sehr umgänglich.« Bei Arbeiten im Terrarium sei »gewisse Aufmerksamkeit« zu beachten, fügt er hinzu. Das kommt meinen Vorstellungen schon näher, und ein Terrarium brauche ich nicht. Ich habe doch einen Garten für meinen künftigen Begleiter. Endlich bin ich auf der richtigen Spur.

In der Familie der Warane gilt der Komodowaran als größte Echse. Dieses Ungeheuer auf vier Beinen wird bis zu drei Meter lang und verschlingt gern mal eine Ziege oder ein Pferd zum Frühstück. Auch Menschen sind ihm schon zum Opfer gefallen. In den USA finde ich Händler, die mir einen solchen Koloss verkaufen wollen. Ich könne mir allerdings auch selbst einen aus dem Zoo besorgen, schreibt mir Mister Big Komodo persönlich. Allerdings würde die Riesenechse mit dem Schuppenpanzer und der gespaltenen Zunge eher mich erwischen als ich sie. Deshalb solle ich lieber auf ihn als professionellen Händler vertrauen. Wie er das Vieh nach Berlin bringen und an den deutschen Behörden vorbeischmuggeln will, lässt der Herr der Drachen offen.

Irgendwie bin ich jetzt verunsichert: Ob ich es vielleicht vorerst doch mit der Meerschweinchenzucht versuche? Denn irgendetwas muss der ständig hungrige Drache von den Komodoinseln doch fressen, bis ich ihn als Reittier abgerichtet habe. Oder drehe ich den Spieß besser um und lasse mich statt auf ein Tier doch weiterhin auf das Kind in mir ein?