21.07.06

Wilhelm Ruprecht Frieling

Weihrauch, Wachs und wahre Wunder oder
Wie ich Reservepapst wurde

Foto (Wilhelm Ruprecht Frieling vor dem Petersdom)

Papst Rupi I.

Foto von Wilhelm Ruprecht Frieling

In Bananenrepubliken und Urwaldstaaten werden in Abwesenheit gern Oberhäupter gestürzt und neue Häuptlinge inthronisiert. Im kleinsten Staatswesen unserer Galaxie, dem Kirchenstaat, sind derartige Praktiken ebenso gut bekannt. Und nun meldet das Radio, der Papst sei auf Reisen! Der Himmel schickt mir damit ein Zeichen: Popetown freue Dich, ich komme und werde Reservepapst! Es ist doch besser, wenn stets ein Statthalter vor Ort ist, dann kann der andere stressfrei reisen und den Staub der Kontinente küssen.

Als Beweis für meinen spirituellen Hintergrund und meine hervorragende fachliche Eignung stecke ich einen skelettierten Kaninchenkopf der Hl. Agnes im Hobbit-Format ein, packe einen Fetisch der Inuit aus Walrosszahn hinzu und entstaube ein katholisches Reisegefäß für Hostien, das ich günstig auf dem Flohmarkt fand. Die notwendige Arbeitskleidung hatte ich voraus schauend im Internet ersteigert: weiße Soutane, Schulterumhang und Scheitelkappe, ein Brustkreuz an goldener Schnur und ein Hut mit breitem Rand und goldener Borte. Sicherheitshalber stecke ich noch goldene Ringe an die Finger, das wirkt päpstlicher. Rollengerecht kostümiert besteige ich den Euro-Shuttle und bin zwei Stunden später bereits am Flughafen meiner neuen Wirkungsstätte Rom. Dass ich den teuren Leonardo-Express in die Innenstadt schwarz nutzen darf, beweist mir, dass die Einheimischen mich spontan anerkennen und respektieren. – Wer behauptet da noch, die Römer spinnen, Herr Obelix?

Die Stadt am Tiber mit ihren dazwischen gewürfelten gewaltigen Trümmern aus der Ära der alten Römer streckt sich im Sommerwind. Brüllende Autos und fauchende Vespas fliegen im ständigen Blechkontakt durch die Straßen, infernalisch tobt der Lärm. Staub, Dreck und Abgase flirren umher. Touristen irren zwischen Müllbergen und zerfetzten Plakatwänden umher. Für einen Papstvertreter ist Rom spärlich ausgeschildert, es gibt kaum Informationen, wenige Wegweiser, dürftige Hinweise. Dafür existieren gewaltige marmorne Straßenschilder, die den alten Römern geschuldet sind, die noch keine Brillen kannten.

Die Kuppel des Petersdoms ist jedenfalls weithin sichtbar, somit ist der Weg zum Vatikan, meinem neuen Amtssitz, leicht zu finden. Vor Ort rufe ich mehrmals kräftig »Wir sind Papst«, spreche in Zungen und segne die Menge, dann inspiziere ich das Fenster, von dem ich die Besucher grüßen werde. Da braust auch schon das Papamobil herbei, um meine wunden Füße zu schonen. Schweizergardisten in bunt gestreiften Pump- und Pluderhosen hüpfen und springen als farbenprächtige Leibwächter um mich herum. Freudig singen die Burschen »My baby, baby, balla, balla«, während sie mir als ihr frisch gebackenes Oberhaupt den Weg frei räumen. Die Jungs sind begeistert, sie haben wieder eine sinnvolle Beschäftigung. Tröt, trööt, tröööt: Bahn frei für den neuen Papst!

Foto (Dreirad)

Papamobil

Foto von Wilhelm Ruprecht Frieling

Schranzen und Mitglieder des päpstlichen Hofstaates eilen herbei: purpurne Palastkardinäle, pralle Prälaten, Geheime Kammerherren mit Schwert und Mantel, tänzelnde Zeremonienmeister, Ehrenkammerherren in violetter Uniform, nahezu unsichtbare Kapläne, mausgraue Beichtväter, Apostolische Prediger, kräftige Sänftenträger und der zackige Leiter der Vatikanpost verneigen sich vor mir als ihrem neuen Dienstherren und bitten: »Mach uns den Ratzinger!«. Ich lasse mich keinesfalls lumpen, und schon wiegen wir uns gemeinsam im Rock'n'Roll.

Ich rolle in den Petersdom, ein lang gestrecktes Aufmarschfeld für 60.000 Parteigänger. Vor Michelangelos »Pieta« verdaut verzückt furzend ein Michelin-Männchen. Besucher fotografieren sich vor Kunstwerken und küssen den Klumpfuß einer Petrusstatue, was Glück, Gesundheit oder eine gefährliche Masseninfektion beschert. Die Besucher wirken erschreckend ungläubig und beachten kaum den Aufmarsch des neuen Oberhauptes. Ich greife in die Taschen meines Ornats und hole eine Handvoll Kamelle hervor. Als die Leckereien auf den Marmor prasseln, fallen Mutti, Vati und Kind vor Prinz Karneval auf die Knie. Na, endlich! Anerkennend segne ich die kriechenden Gläubigen und grinse freundlich in ihre japanischen Digitalkameras.

Der Petersdom gefällt mir nicht. Alles wirkt irgendwie steril und tödlich langweilig. Wer bereits in religiösem Rausch hierher kommt, erlebt vielleicht himmlische Visionen oder mystische Momente. Dem monumentalen Tempel fehlt historischer Puder, die ein oder andere schaurige Figur oder mindestens ein Totenkopf mit geheimnisvoll blinkenden Augen. Sphärische Klänge, uriger Kerzenschimmer und sakrale Düfte nach Weihrauch, Wachs und Weihwasser werden dringend benötigt. Das wird künftig geändert! Mir geht es um alles oder nichts: die Weltherrschaft des Katholizismus kann nur mit modernsten Methoden erzielt werden. Wahre Wunder werden benötigt! Es fehlen irre blickende Pilger, religiöse Eiferer mit goldenen Kreuzen, kriechende Büßer, nackte Nonnen, wilde Weiber, gefallene Engel, ekstatische Geissler, düstere Ketzer, feiste Prediger, fanatische Verkünder, blutige Kreuzritter, schleimige Ablasshändler, eherne Säulenheilige, wahnsinnige Wunderheiler … notiere: muss dringend verbessert werden, es besteht Handlungsbedarf!

Sobald wieder weißer Rauch aufsteigt, und ich offiziell Papst bin, wird das Ambiente radikal aufgewertet! Dann geht die Post »bei Peter« richtig ab, und ich eröffne das schillernde »Petrusland«. Ich sehe schon blinkende Buden à la »Hau den Apostel«, Geisterbahnen, die durch Katakomben rasseln, Bungee-Jumping von der Kirchenkuppel, Degustationsstuben für Messwein und Hostien, Lotterien mit Reliquien und Kirchenschätzen, einen Erlebnispark mit Kreuzigungszentrum, Scheiterhaufen zum Probeliegen, Auferweckungsstuben – und vor allem ein gewaltiges Medienzentrum. Dazu wird der Kirchenbann über den Spielfilm »Da Vinci Code« und seine literarische Vorlage »Sakrileg« sofort wieder aufgehoben und der Streifen nonstop gezeigt. Das spült noch mehr Geld in die Kassen des Vatikans und steigert die Stimmung der Massen.

Ein Papst muss durchgreifen können! Meine Visite hat sich damit voll gelohnt. Ja, wozu sind WIR schließlich Papst?