27.08.05

Wilhelm Ruprecht Frieling

Das Busenwunder von Bendinat
(Briefe aus Palma, III)

Künstlich geformte Brüste sind bei Spaniens Jugend angesagt. Wie pralle Äpfel prangen sie an den schlanken Körpern junger Sonnenanbeterinnen und widersetzen sich dank geschickter Chirurgen erfolgreich den Gesetzen der Schwerkraft. Der Einfluß Süd- und Lateinamerikas, bei dem die Messer der Operateure inzwischen jede zweite Frau in Folge eines zwanghaften Schönheitswahns umgestaltet haben, fällt in Spanien wie in keinem anderen Land Europas auf fruchtbaren Boden.

Schon in zarten Jugendjahren warten spanische Mädchen in den Sprechzimmern der Schönheitschirurgen, um sich den vermeintlich letzten Schliff geben zu lassen. In einer Gesellschaft, in der die äußere Hülle alles, der Inhalt hingegen bescheiden wenig bedeutet, spielt die helfende Hand des geübten Plastikers eine enorme Rolle. Und so gibt es kaum einen profitableren Berufszweig als den des mit Skalpell, Silikon und Spritze arbeitenden Gestaltwandlers. Ergebnisse ihrer Handwerkskunst sind am Strand von Bendinat in der Nähe von Palma de Mallorca in höchster Vollendung zu bewundern.

Gerade offenbart sich eine prachtvoll Modellierte stolz und strahlend der sie umlagernden Männergruppe. Den Geschicklichkeitsbeweis ihres Operateurs bestaunen alle mit offenem Interesse. Die bis auf einen winzigen Minislip Nackte kniet und dreht sich wie auf einem Präsentierteller in einer Peep-Show fortwährend um die eigene Achse. Hingebungsvoll massiert sie dabei ihre drallen Möpse mit Sonnencreme. Das jedenfalls ist vernünftig, denn vor Mallorcas kräftiger Sonne sollte sich jeder schützen, und den versammelten Herren scheint es durchaus recht.

Versteinert bilden Freunde und Verehrer einen engen Ring um die Madonna im Sande. Sie bemühen sich, teilnahmslos zu wirken und angelegentlich mit ihr zu plaudern, ohne sie auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Unsichtbare Speichelfäden tropfen den Knaben aus den Mundwinkeln, und sie atmen schwer, atmen schwer, atmen schwer. Bendinats nahtlos braun gebranntes Busenwunder wirkt, als bemerke sie rein gar nichts, als wäre ihre Salbung die natürlichste Nebensache der Welt. Sie cremt, kreist und knetet zunehmend intensiver, bis ihre Brustwarzen stahlhart werden, wie dunkle Edelsteine zu strahlen beginnen, und sie dreht sich, dreht sich, dreht sich. Es ist atemberaubend heiß, die Sonne brennt. Sanft stöhnt der Wind, der vom Meer zum Strand herüber weht.

Da setzen sich zwei mit natürlicher Hanglage ausgestattete unoperierte Barbusige ausgerechnet auf den bislang freien Strandabschnitt zwischen mir und dem Wunderwesen. Mensch, Mädels, macht den Blick frei, und legt Euch flach auf Eure Tücher. Es scheint sonst, als starre ich Euch an. Mich interessiert ausschließlich das Modell, das sich hinter Euch räkelt. – Stur bleiben die beiden sitzen und verdecken mir weiter die Sicht. ¡Qué lástima! – Wie schade!

Auch der appetitanregende Inhalt des knappen knallroten Bikinis rechts neben uns sei eindeutig künstlich, behauptet die Dame meines Herzens, die das Thema wesentlich besser beherrscht als ich. Wie das trotz des Stofffetzens zu erkennen sei? Ich dachte immer, vergrößerte Brüste sähen aus wie Melonen aus Pornoheften oder die Darstellerinnen in den überspannten Filmen von Russ Meyer. Doch meine Prinzessin weiß es besser. Sie ist zufällig neben dem roten Bikini aus den Fluten des Mittelmeeres aufgetaucht. Dabei hat sie verräterische Narben an den lockenden Teilen der Beauty gesehen.

Ach, wie sind wir Männer dumm, auf jeden drallen Luftballon herein zu fallen und gierig danach zu greifen. Aber genau zu diesem Zweck ist die Pop-up-Brust schließlich geschaffen worden. Schließlich gibt es Situationen im Leben, da gibt man sich gern einer Illusion hin, und sei sie auch aus Plaste und Elaste. Ich erkenne eine Kunstbrust wirklich erst auf Zuruf und bitte deshalb, auf Wunderbusen hingewiesen zu werden. Dies fördert meine Allgemeinbildung und gestattet zensurfrei das gründliche Betrachten bedeckter und unbedeckter Oberweiten.

»Silikon auf Neun-Uhr-Position!« tönt es schon vom Handtuch neben mir mit militärischer Genauigkeit. – »Wo denn, wo?« gebe ich mein Interesse zu erkennen und werde nach alten Pfadfinderregeln eingewiesen: Von links kommend promenieren zwei blutjunge Knallfrösche in knappen Tangas an uns vorüber. – BING! – Ich wäre den nahezu nackten Busenwundern im Trendoutfit bestimmt naiv auf den Leim gegangen. Wie gut, eine Begleiterin an der Seite zu wissen, die zwischen den Wundern von Wahn und Wirklichkeit zu unterscheiden weiß. Leben bedeutet eben ständiges Lernen. Fasziniert schaue ich den stolzen Schönen nach und folge dem Textilstreifen, der zwischen ihren knackigen Pobacken reibt.

Zu meiner persönlichen Erbauung breitet nun eine nach Sonnencreme duftende schwarzhaarige Schönheit ihr türkisfarbenes Laken direkt vor meinen Füßen aus. Mit einer fließenden Bewegung streift sie ihren weißen Leinenmini und ein enges trägerloses Baumwoll-T-Shirt vom Körper. Schnell ist sie nackt bis auf einen schmalen, blumenbunten Minislip, unter dem eine tätowierte Pflanze emporrankt. Die braun gebrannte schlanke Zwanzigjährige ist eine Augenweide. Doch ihre beiden festen Orangen machen sie zur Traumfrau.

Nun, keine zwei Meter entfernt, bemerke ich auch jene Verräternarben, die dem Operateur als Tore zur Vervollkommnung dienten. Sie sind ein wenig blasser als die schokobraune Haut und fallen nur dem genauen Betrachter auf. Die Proportionen sind geschickt gewählt und wirken geschmackvoll bemessen. Miss Bendinat hat das Zeug zu einer Schönheitskönigin. Wieso liegt sie hier allein am Strand? Wo steckt der Mann ihrer feuchten Sommernachtsträume? Warum in aller Welt haben der Herrgott und seine Operateure auf Erden solche Frauen erschaffen? – Puh, was für ein schaurig schwüler Tag!

Besonders effektvoll präsentieren sich spanische Señoritas, wenn sie mit dem neuesten Handy am Ohr am Strand paradieren. Mit weit ausladenden Bewegungen unterstreichen die meist bis auf ein knappes Hüfttuch Entkleideten ihre temperamentvoll geführten Telefonate. Gern greifen sie dabei in ihre schulterlange Lockenpracht und schütteln die gesträhnten Haare effektvoll. Dabei schreiten sie wie auf einem Laufsteg auf und ab, gehen bisweilen ein paar Schritte durchs Wasser und planschen mit den Füßen. Es ist unmöglich, soviel geballten Reiz zu ignorieren, zumal die Gespräche durchaus eine halbe Stunde und länger dauern können. Dazu wird selbst mit Freunden telefoniert, die nur wenige hundert Meter entfernt am gleichen Strand liegen. Warum hingehen, wenn ein Telefon in Reichweite, und zudem ein viel beachteter Auftritt sicher ist?

Handys sind unverzichtbarer Bestandteil eines Strandbesuchs. Es klingelt, summt und singt aus Badetaschen, Rucksäcken und Tüten. Wer nicht alle Naselang zum tragbaren Telefon greift, ist wahrscheinlich ein bedeutungsloser Tourist. Wer jedoch einen ganzen Strandtag lang weder telefoniert noch SMS empfängt oder wenigstens sendet, ist zweifelsfrei ein Bleichgesicht aus dem kühlen Norden und damit die Ausnahme an diesem Strandabschnitt, der bislang noch den Einheimischen gehört.

Die Umsätze der Telefongesellschaften kraxeln vor allem an Sonnentagen freudig in die Höhe. Dann erblüht eine mobile Bürolandschaft am Strand von Bendinat. Durchtrainierte Spanier springen beim ersten Alarm von ihren Handtüchern auf und folgen dem Kommando ihrer móviles. Es werden Autos und Boote vermietet, Anfragen und Angebote diskutiert, Bauaufträge verhandelt, Exkursionen besprochen. Immer bereit, allzeit bereit, lautet hier die Devise, zumal sie sich gern als Großunternehmen mit international klingenden Bezeichnungen melden.

Die meisten Gespräche enden mit der Verabredung, später noch einmal in der Angelegenheit telefonieren zu wollen. Dann legt sich die mallorquinische Dienstleistungsgesellschaft wieder zur Siesta in den glühenden Sand. Schnell ist der Anruf vergessen, da bellt schon das nächste Handy. Wer will hier und jetzt wirklich arbeiten? Am Spätnachmittag, gegen fünf, ziehen sie dann in ihre nahe gelegenen Büros um. Dort wird weiter palavert und auf diese typisch mediterrane Weise bis gegen zwanzig Uhr gearbeitet. Spät geht es zum Abendessen, bei dem das Mobiltelefon zum Besteck gehört, und die eigentlichen Geschäfte abgeschlossen werden. Der nächste Tag beginnt dann wieder im Freundeskreis am Strand.

Freundschaftliche Begegnungen spielen eine deutliche Rolle. Viele der Strandbesucher kennen sich, wandern von Handtuch zu Handtuch, herzen und begrüßen sich ausdauernd. Das Zeremoniell wirkt, als hätten sich die Beteiligten seit dem Letzten Vaterländischen Krieg aus den Augen verloren. Dabei sind maximal vierundzwanzig Stunden vergangen. Vor allem junge Frauen sind die bevorzugten Grußherzchen: Küßchen auf die rechte, dann auf die linke Wange, mal zieht sie ihn, mal zieht er sie. In fein abgestimmter Bewegungsfolge wird viel über den Grad der Vertraulichkeit ausgesagt, den die Parteien miteinander pflegen. Auch Männer umarmen und küssen sich, manche beuteln einander kräftig die Schultern, seltener wird die Hand zum Gruß gereicht.

Ein braun gebrannter Spanier in schwarzen Shorts und mit modisch verspiegelter Sonnenbrille bietet den letzten Schrei an modischen Bikinis feil. Ein Dutzend Oberteile hängt wie auf einer Kleiderstange über dem rechten Arm des Schwarzgelockten. Die übrige Ware ist in einer gewaltigen Sporttasche verborgen. Mit einem freundlichen ¡Holá! wandert er durch die Handtuchfluchten und läßt sich nieder, wenn sein Gruß erwidert wird. Dann hockt er sich zu einer Schönen in den heißen Sand und führt seine handverlesene Ware vor. Nach Farb- und Designwunsch der Kundschaft zieht er hunderte verschiedene Modelle aus Tüten hervor, die in seinem mobilen Handelsunternehmen lagern. Es wird Maß genommen, Hand angelegt, probiert und diskutiert. Was gefällt, wird genommen. Ein, zwei, drei Scheine wechseln den Besitzer, beide Seiten danken zufrieden, der Händler zieht weiter.

Junge Spanier betonen ihren Körper und wollen durchtrainiert scheinen. Sie spielen Frisbee, Handball, Tennis und Beachvolleyball. Zur Abwechslung erfrischen sie sich im Wasser, wo sie sich gern unterhalten oder nur schauen. Die größten Schaumschläger pflügen in halsbrecherischem Tempo auf spuckenden Jet-Skis das Wasser. Dabei ist alles groß inszenierte Nabelschau. Damen zeigen sich keck dem männlichen Geschlecht, Männer spielen mit ihren Reizen vor der Weiblichkeit und illustrieren damit einen aktuellen Blödel-Strandsong, der in Mallorcas Diskotheken Dauerhit ist: »Chica tropicana, um dich zu kriegen, muß ich hier liegen«.

Sex-Appeal liegt in der Luft am Strand von Bendinat. Spanische Männer greifen sich auf dem Weg ins kühlende Nass gern in den Schritt und schütteln dort kräftig. Dieser dem Südländer normal erscheinenden Bewegung folgt der prüfende Blick in die Badehose, die weit nach vorn gezogen wird. Noch alles am Platz? Zwei, drei Prüfblicke lassen die Verlustangst schwinden, und beruhigen den Herrn der Schöpfung für den Augenblick. Das Ritual wiederholt sich beim Verlassen des feuchten Elements. Ein echter Macho will sich in jeder Situation einsatzbereit zeigen. Deshalb greift sich auch im Gespräch unter Männern der eine oder andere gern ans Gemächt und spielt selbstvergessen mit seinem Zebedäus. Genial genital.

Obwohl Bendinat einer der wenigen Strände auf Mallorca ist, der sich noch in heimischer Hand befindet, hocken natürlich auch Touristen wie blasse Tupfen zwischen den Braunen und Schönen. Da gibt es übergewichtige Engländer, die krebsrot in der Sonne rösten und um Hautkrebs betteln. Lange blasse Kerls aus Deutschland mit Frauen wie weißlicher Spargel studieren politische Magazine unter gestreiften Sonnenschirmen. Gelegentlich lärmen Russen. Südamerikaner tanzen trunken mit San-Miguel-Bierdosen. Franzosen versuchen schon mangels Sprachkenntnissen vergeblich, ihren Charme bei spanischen Schönheiten spielen zu lassen.

Ausländer sind in der Minderzahl in Bendinat. Das macht diesen kleinen Strandabschnitt so intim. Hat sich der Betrachter am Abend satt gesehen, kann er sich glücklich schätzen, wenn er keinen Sonnenbrand davon getragen hat. Einen aufregenden und farbenfrohen Strandtag jedenfalls durfte er erleben. Er hat knackige Körper gesehen und dabei viel über Mallorcas Jugend, die sich inzwischen in Operierte und Nicht-Operierte teilt, erfahren.

Ja. Genau so macht Lernen Spaß.